Strittige Szenen am 30. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Das Tor für Dresden, die nicht gegebenen Elfmeter für Aue und Halle, die Strafstöße für Essen und Aue, das 3:2 für Zwickau sowie Foulspiele von Osnabrücks Köhler und Ingolstadts Brackelmann. Am 30. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de neun strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 52-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Nach einem Zweikampf mit Christian Conteh (Dresden) sieht Sven Köhler (Osnabrück) von Schiedsrichter Mitja Stegemann die gelbe Karte. [TV-Bilder – ab Minute 29:20]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf zwischen Köhler und Conteh spielt der Angreifer dem Verteidiger kurz vor dem Strafraum den Ball durch die Beine und prallt dann, als er an ihm vorbeilaufen will, mit ihm zusammen und kommt anschließend zu Fall. Unten im Fußbereich ist kein Treffer auszumachen, sodass kein Foulspiel vorliegt. Anschließend versucht Conteh an Köhler vorbeizulaufen, prallt gegen dessen Hinterteil und kommt deshalb zu Fall. Der Verteidiger verhält sich dabei korrekt und nimmt das Hinterteil nicht bewusst heraus, um den Angreifer regelwidrig zu stoppen. Er kann sich auch nicht in Luft auflösen, sodass kein Foulspiel vorliegt. Die Freistoßentscheidung in Verbindung mit der gelben Karte gegen Köhler ist somit eine Fehlentscheidung.
Szene 2: Der bereits gelb-verwarnte Sven Köhler (Osnabrück) tritt leicht in Richtung des am Boden liegenden Niklas Hauptmann (Dresden), kommt aber um einen Platzverweis herum. [TV-Bilder – ab Minute 35:45]
Babak Rafati: Nach einem Foulspiel eines Osnabrückers an Hauptmann kommt dieser zu Fall. Anschließend tritt der bereits gelb-verwarnte Köhler leicht in Richtung Hauptmann, der am Boden liegt. Dabei trifft er ihn aber nicht. Diese Aktion kann man streng genommen als Unsportlichkeit auslegen und mit einer weiteren gelben Karte belegen, was in der Folge die gelb-rote Karte gegen Köhler bedeuten würde. Ich finde es allerdings gut, keine weitere Karte zu zeigen, weil tatsächlich kein Kontakt stattfindet. Allerdings wäre eine ultimative Ermahnung gegen Köhler angebracht gewesen und würde ein Zeichen setzen.
Szene 3: Auf der Außenbahn setzt sich Niklas Hauptmann (Dresden) robust gegen Paterson Chato (Osnabrück) durch, der dadurch zu Fall kommt. Das Spiel läuft weiter, und aus dem Angriff fällt das 1:0 für Dynamo. [TV-Bilder – ab Minute 1:55]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf setzt sich Hauptmann zwar robust, aber absolut regelkonform gegen Chato durch und kann einen guten Angriff einleiten, der anschließend zum Torerfolg führt. Die Aktion ist Schulter gegen Schulter, und selbst der Gegner weiß, dass das kein Foulspiel ist. Zudem wird diese Zweikampfführung von fast allen Mannschaften eingefordert, anstatt kleinlich zu agieren. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 4: Im Strafraum kommt Omar Sijaric (Aue) im Duell mit Justin Plautz (Oldenburg) zu Fall, Schiedsrichter Florian Exner lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]
Babak Rafati: Nach einem Zuspiel auf Sijaric ist dieser zunächst in einer besseren Position zum Tor als Gegenspieler Plautz. Allerdings missglückt die Ballmitnahme, und daraus wird eine Ballannahme, sodass Plautz diesen Vorsprung verliert. Anschließend ist Plautz zwar im Laufduell mit dem Arm leicht am Trikot von Sijaric, allerdings reicht dieses Vergehen nicht für ein Foulspiel aus. Dieses "Bearbeiten" ist im erlaubten Bereich, sodass Weiterspielen lassen die richtige Entscheidung ist. Das Bearbeiten durch Plautz ist nicht ursächlich für das anschließende Zufallkommen von Sijaric. Hier wird der Kontakt dankend vom Angreifer angenommen, zumal er erkennt, dass er seine bessere Position eben durch die Ballannahme nicht mehr hat. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 5: Dimitrij Nazarov (Aue) läuft auf das Tor zu und geht gegen VfB-Keeper Sebastian Mielitz zu Fall. Exner gibt Elfmeter für Aue. [TV-Bilder – ab Minute 2:05]
Babak Rafati: Keeper Mielitz kommt aus seinem Tor herausgeeilt und versucht zum Ball zu grätschen, nimmt dabei aber auch ein hohes Risiko in Kauf, bei diesem Zweikampf Nazarov zu treffen. Das passiert bei seiner Aktion schlussendlich auch, sodass er ihn durch Beinstellen zu Fall bringt. Das ist ein Foulspiel, und somit liegt eine richtige Entscheidung vor, einen Elfmeter zu geben.
Szene 6: Auf dem Weg zum Tor kommt Ron Berlinski (Essen) gegen Jordy Makengo (Freiburg II) zu Fall, es gibt Elfmeter für RWE. Freiburg moniert, dass das Foul außerhalb des Strafraums war. [TV-Bilder – ab Minute 1:10]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf zwischen Berlinski und Makengo knapp außerhalb des Strafraumes ist nicht auszumachen, ob tatsächlich ein Kontakt vorliegt und Makengo Berlinski mit dem linken Fuß trifft oder nicht. Somit kann der Schiedsrichter kein Foulspiel pfeifen. Noch im gleichen Bewegungsablauf kommt es im Laufduell einen Schritt weiter, diesmal knapp innerhalb des Strafraumes, zu einem Kontakt, der entscheidend ist. Dabei trifft Makengo seinen Gegenspieler Berlinski mit dem rechten Knie am Oberschenkel und bringt ihn deshalb zu Fall. Das Fallmuster passt ebenso zum Vergehen, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, auf Foulspiel zu entscheiden und in der Folge einen Elfmeter zu pfeifen.
Bemerkenswert ist, dass der Schiedsrichter aus seiner Position erst auf Freistoß entscheidet und erst auf Hinweis des Assistenten, der auf dieser Seite postiert ist, darauf hingewiesen wird, dass das Vergehen innerhalb des Strafraumes passiert. Das sieht man gut daran, dass er nach dem Pfiff erst zum vermeintlichen Tatort vor dem Strafraum läuft (dort wo ein möglicher Kontakt mit dem linken Fuß von Makengo vorgelegen haben könnte, dieser aber nicht zu sehen ist und für den Schiedsrichter ein Foulspiel darstellt), und erst dann, als er Blickkontakt zu seinem Assistenten aufnimmt, dieser ihm durch das festgelegte Zeichen (Durchlaufen bis zur Eckfahne) signalisiert, dass das Vergehen innerhalb des Strafraumes erfolgte und in der Konsequenz einen Elfmeter nach sich zieht. Dann dreht der Schiedsrichter vom Tatort ab und zeigt Richtung Elfmeterpunkt. Prima Absprache!
Szene 7: Niklas Kreuzer (Halle) dringt in den Strafraum ein und geht gegen Tom Rothe (Dortmund II) zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Nicolas Winter. [TV-Bilder – ab Minute 39:55]
Babak Rafati: Kreuzer legt sich den Ball im gegnerischen Strafraum am Gegenspieler Rothe vorbei und will an ihm vorbeilaufen. Dieser nimmt das Bein heraus und bringt ihn klar und deutlich über das ausgestreckte Bein zu Fall. Das ist ein Foulspiel, und somit hätte es einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen nicht zu geben.
Szene 8: Calvin Brackelmann (Ingolstadt) tritt 1860-Torhüter Marco Hiller auf die Hände, obwohl dieser den Ball schon unter Kontrolle hatte. Eine Karte sieht Brackelmann von Schiedsrichter Benjamin Cortus nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:40]
Babak Rafati: Brackelmann will den Ball gegen den Verteidiger behaupten und sieht sicherlich nicht, dass zudem der Keeper herauskommt. Als er zum Ball will, tritt er dem Keeper auf die Hände, was schmerzvoll für Hiller ausgeht. Sicherlich kann man Brackelmann keine Absicht unterstellen, allerdings ist das ein rücksichtsloses Einsteigen, bei dem der Angreifer die Folgen für den Gegner außer Acht lässt. Ein solches Vergehen ist mit einer Verwarnung zu ahnden. Eine Fehlentscheidung, diese gelbe Karte nicht zu zeigen. Wäre der Treffer gegen den Kopf geschehen, wäre sogar die rote Karte die logische Konsequenz.
Szene 9: Nach einer Flanke von Johan Gomez trifft Dominic Baumann zum 3:2 für Zwickau. Wiesbaden reklamiert Abseits, Schiedsrichter Tobias Schultes gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 3:05]
Babak Rafati: Zum Zeitpunkt des Abspiels von Gomez steht der anschließende Torschütze Baumann knapp im Abseits, sodass der Treffer nicht hätte zählen dürfen. Eine Fehlentscheidung, dieses Tor zu geben. Solche knappen Situationen sind bei der Frage, ob eine Abseitsposition vorliegt oder nicht, natürlich schwer mit bloßem Auge zu erkennen. Somit wird der Assistent die generelle Anweisung befolgt und im Zweifel für den Angreifer laufen gelassen haben.
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