Strittige Szenen am 32. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für Dresden (3), Cottbus, Verl (2), Saarbrücken und Stuttgart II, der Platzverweis gegen Gözüsirin, das Tor und der verwehrte Treffer für Hansa, der Strafstoß für Hannover II, die gelbe Karte gegen Juckel, Foulspiele von Kother und Gjasula. Am 32. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 15 strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 54-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Im Strafraum will Jakob Lemmer (Dresden) zum Ball, geht aber gegen Simon Lorenz (Ingolstadt) zu Fall. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Felix Weller nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:20]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf schaut Lorenz nur zum Ball, ist somit ballorientiert, springt dann hoch zum Kopfball und klärt gegen Lemmer. Auch, wenn dabei der Arm von Lorenz im Einsatz ist, ist dies kein regelwidriges Verhalten, sodass kein Foulspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben. Diese (Arm-) Bewegungen kommen im Zweikampf vor, und solange keine aktive Bewegung Richtung Gegenspieler vorliegt, ist alles im grünen Bereich.
Szene 2: Nach einem Zweikampf an der Torauslinie tritt Dominik Kother (Dresden) seinem Gegenspieler Elias Decker (Ingolstadt) auf das Bein, Weller ahndet die Szene nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:37:30]
Babak Rafati: Zunächst einmal pfeift der Schiedsrichter an der Torlinie richtigerweise ein Foulspiel (Rempeln von hinten) von Kother an Gegenspieler Decker ab. Danach tritt Kother kurz nach dem Pfiff des Schiedsrichters unglücklich auf den Oberschenkel des am Boden liegenden Decker, weil er womöglich den Ball erreichen und spielen will. Allerdings ist dieser Einsatz sicherlich nicht gewollt und somit kann man ihm keine Absicht unterstellen, aber die Spielweise ist einfach rücksichtslos. Daher hätte es für diese Aktion zusätzlich die gelbe Karte geben müssen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, diese nicht zu zeigen. Wäre der Schiedsrichter schneller zum Tatort gelaufen, hätte er die Aktion viel besser wahrnehmen und entsprechend ahnden können.
Szene 3: Im Strafraum will Mika Baur (Dresden) zum Ball, kommt aber gegen Elias Decker (Ingolstadt) zu Fall. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:49:50]
Babak Rafati: Im Zweikampf mit Decker geht Baur zu Fall. Zwar ist Decker am Trikot von Baur, das reicht aber nicht für einen Elfmeter aus. Dieses Bearbeiten ist erlaubt, der Angreifer nimmt diesen Kontakt dankend an und kommt zu Fall. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu gebe. Diese soft-penalties will keiner sehen.
Szene 4: Einen Schuss von Jonas Oehmichen (Dresden) im Strafraum bekommt Elias Decker (Ingolstadt) an den Arm, einen Elfmeter gibt Weller nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:01:45]
Babak Rafati: Nach einer Flanke von Oehmichen bekommt Gegenspieler Decker den Ball zwar an die Hand, aber dieses Handspiel ist nicht strafbar. Er dreht sich vom Ball weg, sodass der Arm in natürlicher Bewegungshaltung mitgeht und keinesfalls zur Vergrößerung der Körperfläche eingesetzt wird. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.
Szene 5: Janis Juckel (Cottbus) spielt bei einem Zweikampf mit Tom Moustier (Essen) den Ball, trifft aber auch den Gegner. Schiedsrichter Leonidas Exuzidis gibt Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 51:00]
Babak Rafati: Juckel spiel im Zweikampf mit Moustier klar den Ball. Der anschließende Kontakt resultiert daraus, dass es in der Ausholbewegung zum Ball zu einem Treffer mit dem Fuß von Moustier kommt. Das ist aber kein Foulspiel, sondern eine natürliche Bewegung im Kampf um den Ball, nachdem der Ball gespielt wurde, sodass eine Ballorientierung vorliegt. Moustier geht zudem selbst dorthin und kommt einfach zu spät zum Ball. Hier wäre Weiterspielen die richtige Entscheidung, sodass der Freistoßpfiff und die gelbe Karte obendrein eine Fehlentscheidung sind.
Szene 6: Klaus Gjasula (Essen) geht mit gestrecktem Bein in einen Zweikampf gegen Dominik Pelivan (Cottbus) und trifft ihn am Knöchel. Exuzidis belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:20:45]
Babak Rafati: Im Mittelfeld geht Gjasula mit gestrecktem Bein und offener Sohle in den Zweikampf und trifft Pelivan am Fuß/Sprunggelenk. Das ist unumstritten ein Foulspiel. Auch, wenn der Treffer nicht über dem Knöchel passiert, nimmt Gjasula die Gefährdung der Gesundheit von Pelivan billigend in Kauf, sodass es die rote Karte geben muss. Das ist einfach ein zu überharter Einsatz und völlig unnötig. Und das auch noch im Mittelfeld. Eine Fehlentscheidung, es nur bei der gelben Karte zu belassen. Gjasulas Reaktion zeigt offensichtlich, dass er selbst weiß, Glück in dieser Szene zu haben, keine rote Karte zu sehen.
Szene 7: Im Strafraum geht Yannik Möker (Cottbus) im Duell mit Ahmet Arslan (Essen) zu Fall, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:34:45]
Babak Rafati: Arslan setzt nur den Körper gegen Möker ein, sodass die Aktion kein Foulspiel darstellt. Ein entscheidender Fußtreffer ist auch nicht auszumachen, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.
Szene 8: Für ein Einsteigen gegen Joel Grodowski (Bielefeld) im Mittelfeld sieht Tarik Gözüsirin (Wiesbaden) von Schiedsrichter Timon Schulz die rote Karte. [TV-Bilder – ab Minute 2:40]
Babak Rafati: Gözüsirin begeht ein unnötiges Foulspiel gegen Grodowski. Allerdings ist das kein hartes Foulspiel, das eine rote Karte rechtfertigen würde. Er trifft Grodowski sehr leicht und minimal mit der Fußspitze in die Beine. Grodowski macht noch einen Zwischenschritt und kommt dann erst sehr spektakulär zu Fall. Der Schiedsrichter pfeift zunächst einmal, geht gemächlich zum Tatort, beobachtet dabei den am Boden liegenden Grodowski und lässt sich womöglich von dessen Verhalten dazu verleiten, die rote Karte zu zeigen. Wenn ein Schiedsrichter von einer roten Karte überzeugt ist, dann tritt er energischer in Erscheinung. Das Trefferbild gibt schlussendlich eine rote Karte nicht her, auch wenn das Sportgericht trotzdem obligatorisch eine Sperre aussprechen wird. Eine Fehlentscheidung, für diese Szene die rote Karte zu zeigen, denn lediglich die gelbe Karte wäre wegen taktischen Foulspiels angebracht.
Szene 9: Gegen Dave Gnaase (Osnabrück) erobert Benno Dietze (Rostock) den Ball, der Osnabrücker bleibt liegen. Das Spiel läuft weiter, und aus dem Angriff fällt das 1:0. Schiedsrichter Dr. Robert Kampka gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]
Babak Rafati: Dietze erkämpft sich den Ball im Zweikampf mit Gnaase mit fairen Mitteln, sodass kein Foulspiel vorliegt. Er spielt nur den Ball, und Gnaase fällt selbst hin. Eine richtige Entscheidung, diesen Zweikampf laufen zu lassen und den anschließenden Treffer anzuerkennen.
Szene 10: Auf Vorlage von Tim Krohn trifft Sigurd Haugen zum 2:0 für Rostock, jedoch wird auf Abseits entschieden. [TV-Bilder – ab Minute 1:35:40]
Babak Rafati: Zum Zeitpunkt des Abspiels von Krohn auf Mitspieler Haugen steht dieser in Abseitsposition, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, den Treffer abzuerkennen. Gut zu sehen, dass der Assistent genau richtig steht, um das auch beurteilen zu können, nämlich auf Höhe des vorletzten Verteidigers, um gleichzeitig zu erkennen, dass der Angreifer eben näher zur Torlinie steht, als zwei verteidigende Abwehrspieler (wozu der Torhüter auch zählt).
Szene 11: Lars Lokotsch (Verl) wird im Strafraum von Franz Roggow (Dortmund II) umklammert und kommt zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Felix Grund. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]
Babak Rafati: Der Ball wird in die Mitte vor das Tor in die zentrale Position gepasst, dabei kommt es zu einem Zweikampf zwischen Roggow und Lokotsch. Roggow umklammert seinen Gegenspieler so intensiv, dass er ihn kurz nach hinten zieht und ihm die Möglichkeit nimmt, an den Ball zu kommen und diesen am geschlagenen Keeper ins leere Tor einzuschieben. Auch, wenn Roggow den Ball mit dem Fuß spielen kann, ist in dieser Szene nicht mehr von einer Ballorientierung zu sprechen. Es liegt zunächst ein Foulspiel vor, und erst kurz danach wird der Ball gespielt. Hier hätte es einen Elfmeter geben müssen und zudem die rote Karte, weil eine klare Torchance vereitelt wird. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und das Vergehen nicht entsprechend zu ahnden.
Szene 12: Im Strafraum bekommt Lars Lokotsch (Verl) den Fuß von Franz Roggow (Dortmund II) ins Gesicht. Erneut zeigt Grund nicht auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 1:55]
Babak Rafati: Lokotsch bekommt nach einem Kopfball den Fuß von Roggow ins Gesicht, weil dieser auch zum Ball will und den Fuß zu hoch nimmt. Allerdings kommt Roggow einen Moment zu spät, verpasst dadurch das Spielgerät und trifft stattdessen mit dem ausgestreckten Fuß das Gesicht des Gegenspielers. Der Kopf des Angreifers ist hierbei nicht zu tief. Das ist somit ein Foulspiel, sodass es einen Elfmeter hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen nicht zu geben.
Szene 13: Auf der Außenbahn geht Danilo Wiebe (Aachen) gegen Mustafa Abdullatif (Hannover II) zu Boden, das Spiel läuft weiter. Anschließend dringt Abdullatif in den Strafraum ein und kommt gegen Jan-Luca Rumpf (Aachen) zu Fall, Schiedsrichter Michael Näther zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 3:05]
Babak Rafati: Der Zweikampf von Abdullatif gegen Wiebe auf der Außenbahn ist regelkonform, ein Foulspiel – ein Fußvergehen ist nicht zu erkennen, auch der Oberkörpereinsatz ist okay – liegt nicht vor. Bei der zweiten Aktion läuft Rumpf von hinten in die Beine von Abdullatif und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein Foulspiel, sodass die Elfmeterentscheidung richtig ist.
Szene 14: Im Strafraum will Stefan Feiertag (Saarbrücken) zum Ball, wird aber von Anthony Barylla (Aue) etwas gehalten. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Mario Hildenbrand. [TV-Bilder – ab Minute 1:41:45]
Babak Rafati: Beim Zuspiel auf Feiertag greift dieser selbst nach hinten, zieht am Trikot von Gegenspieler Barylla und lässt sich dann ohne gegnerische Einwirkung fallen. Somit liegt kein Foulspiel vor. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.
Szene 15: Kwabe Schulz (Köln) will im Strafraum einen Ball klären, trifft aber Nicolas Sessa (Stuttgart II). Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Kevin Behrens nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:05:50]
Babak Rafati: Schulz will im eigenen Strafraum den Ball klären, allerdings ist Gegenspieler Sessa etwas schneller am Ball und streift das Spielgerät, bekommt dann aber beim Klärungsversuch von Schulz einen Tritt ab, da dieser beim Ausholversuch zum Ball einen Moment zu spät kommt und den Ball verfehlt. Das ist ein Foulspiel, wenn auch unbeabsichtigt, und somit hätte es einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen nicht zu geben und weiterspielen zu lassen.
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