Strittige Szenen am 34. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die Elfmeter und das 2:2 für Osnabrück, der verwehrte Treffer von Bayreuth, die nicht gegebenen Elfmeter für Duisburg, Dresden, 1860 und Aue, das 2:0 für Duisburg, das 2:1 für Meppen, die Strafstöße für Aue und Ingolstadt, Foulspiele von Rizzuto und Franke sowie ein Abseitsstellung von Vermeij. Am 34. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 15 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 52-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Nach einem Eckball bekommt Nicolas Carrara (Zwickau) den Ball aus kurzer Distanz von Timo Beermann (Osnabrück) an die Schulter geschossen, Schiedsrichter Tom Bauer gibt Elfmeter für Osnabrück. [TV-Bilder – ab Minute 0:20]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Beermann bekommt Carrara den Ball aus kurzer Entfernung an den Arm geschossen, wobei der Arm offensichtlich und ohne Zweifel am Körper angelegt ist, sodass keine Absicht und somit kein strafbares Handspiel vorliegt. Eine Fehlentscheidung, auf Elfmeter zu entscheiden.

Szene 2: Im Anschluss an einen Eckball trifft Robert Tesche zum 2:2 für Osnabrück. Zwickau reklamiert Handspiel, der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 2:10]

Babak Rafati: Nach einer Ecke kommt der Ball zu Tesche, der den Ball mit dem Knie annimmt und anschließend im Tor unterbringt. Da er bei der Ballannahme den rechten Arm ausstreckt, wird womöglich der Eindruck erweckt, dass er den Ball mit dem Arm angenommen haben könnte, was aber nicht der Fall ist. Eine richtige Entscheidung, den Treffer anzuerkennen.

Szene 3: Eine Flanke von Noel Niemann (Osnabrück) bekommt Davy Frick (Zwickau) beim Wegdrehen an den Rücken/die Schulter, erneut zeigt Bauer zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 3:05]

Babak Rafati: Bei dieser Flanke von Niemann dreht sich Frick vom Ball weg und bekommt das Spielgerät an den Rücken. Dadurch, dass der Arm etwas heraus geht, wird der Schiedsrichter womöglich ein Handspiel wahrgenommen haben. Die Flugrichtung des Balles ist allerdings nicht typisch für ein Handspiel, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, auch diesen Elfmeter zu  geben. Auch ist nicht erkennbar, ob der Ball womöglich, bevor er an den Rücken von Frick fliegt, mit dem Arm berührt worden sein könnte. Somit wäre weiterspielen die bessere Option.

Hervorzuheben ist, dass sich ein Schiedsrichter insbesondere bei dem Spielstand und in der Nachspielzeit absolut sicher sein sollte, solch einen Elfmeter zu geben, der das Spiel entscheiden kann. Vielleicht hätte auch der Assistent auf dieser Seite die Szene korrigieren und dem Schiedsrichter auf dem Platz helfen können. Man darf auch nicht Vorgeschichten, wie den Ärger der Zwickauer aus der Vorwoche außer Acht lassen, sodass ein Schiedsrichter in solch einem Spiel besonders sensibilisiert sein muss und somit nur klare Aktionen ahnden sollte.

 

Szene 4: Nach einem Foul von Leroy Kwadwo (Duisburg) an Christoph Fenninger (Bayreuth) gibt es Freistoß, den Bayreuth schnell ausführt und im Tor unterbringt. Schiedsrichter Alexander Sather gibt den Treffer jedoch nicht, da der Freistoß offenbar noch nicht freigegeben war. [TV-Bilder – ab Minute 19:35]

Babak Rafati: Regeltechnisch muss ein Freistoß nicht angepfiffen werden, wenngleich in der Praxis häufig gerade in Tornähe trotzdem angepfiffen wird. Ein Schiedsrichter muss aber, wenn er einen Freistoß durch Pfiff frei geben will – weil er zum Beispiel eine Mauer stellen lassen will wie in diesem Fall -, diesen Vorgang dem Schützen auch mitteilen, dann handelt er richtig. Wenn dann aber ein Schütze den Freistoß trotzdem vor dem Pfiff ausführt, bekommt dieser wegen einer Unsportlichkeit die gelbe Karte.

In diesem Fall spricht der Schiedsrichter zwar mit dem Freistoßschützen, er wird ihm aber vermutlich nicht gesagt haben, dass er den Freistoß per Pfiff frei geben wird. Daher führt der Freistoßschütze den Freistoß aus, ohne den Pfiff abzuwarten.

Und deshalb bekommt der Schütze nicht die gelbe Karte, weil der Schiedsrichter offensichtlich keinen Hinweis gegeben hat. Hätte er diesen gegeben, hätte es die gelbe Karte geben müssen. Man spricht in diesem Zusammenhang aber nicht von einer Fehlentscheidung, sondern vielmehr von einer unglücklichen Entscheidung.

Szene 5: Einen Schuss von Niklas Kölle (Duisburg) bekommt Edwin Schwarz (Bayreuth) im Strafraum beim Fallen an den Arm. Kein Elfmeter, entscheidet Sather. [TV-Bilder – ab Minute 57:55]

Babak Rafati: Nach einer Hereingabe von Kölle springt Schwarz im eigenen Strafraum zum Ball und spielt ihn mit der Hand. Dabei ist der Arm ziemlich weit oben, abgespreizt und nicht in natürlicher Haltung, vielmehr wird die Körperfläche mit dem Armeinsatz vergrößert. Selbst wenn der Ball zuerst an einen anderen Körperteil gesprungen sein sollte, liegt ein absichtliches Handspiel vor, was strafbar ist. Sobald solch eine Vergrößerung der Körperfläche vorgenommen wird, wird in Kauf genommen, dass der Ball an den Arm gehen könnte, daher wird es regeltechnisch als Absicht gewertet. Eine Fehlentscheidung, den fälligen Elfmeter nicht zu geben. Zudem hätte es die gelbe Karte gegen Schwarz geben müssen, da ein guter Angriff unterbunden wird, weil ein Mitspieler von Kölle in aussichtsreicher Position auf den Ball wartet. Eine rote Karte ist nicht möglich, weil ein Kriterium, nämlich die Ballkontrolle für den Mitspieler, der den Ball womöglich erhalten hätte, nicht vorliegt.

Szene 6: Bei einem Angriff geht Eroll Zejnullahu (Bayreuth) gegen Baran Mogultay (Duisburg) zu Fall, das Spiel läuft weiter. Aus dem Konter fällt das 2:0 für Duisburg. [TV-Bilder – ab Minute 1:28:05]

Babak Rafati: Bei der ersten Aktion ist das Halten am Trikot kein Foulspiel, weil keine Behinderung erfolgt. Nicht jedes Halten ist ein Foulspiel. Die Bayreuther bleiben zudem in Ballbesitz. Bei der zweiten Aktion wird Zejnullahu von Mogultay am linken Fuß getroffen und kommt deshalb zu Fall, sodass es einen Freistoß hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Freistoß zu pfeifen. Somit hätte es anschließend gar nicht erst zum Torerfolg für Duisburg kommen dürfen.

 

Szene 7: Nach Vorlage von Morgan Faßbender (Meppen) trifft Willi Evseev zum 2:1 für Meppen. Beim Schuss steht Marvin Pourié im Abseits und verdeckt die Sicht von Torhüter Florian Stritzel. Schiedsrichter Felix Bickel gibt den Treffer dennoch. [TV-Bilder – ab Minute 3:20]

Babak Rafati: Beim Schuss von Evseev auf das Tor befindet sich Pourié, der in Abseitsposition steht, genau vor Keeper Stritzel und versperrt ihm die Sicht. Somit ist er in der Schusslinie, sodass die Abseitsposition strafbar ist. Der Treffer hätte also nicht zählen dürfen. Eine Fehlentscheidung, das Tor trotzdem anzuerkennen. Nur wenn der Keeper absolut keine Chance zum Ball gehabt hätte, kann man die Abseitsposition ignorieren, was aber in diesem Fall nicht vorliegt.

 

Szene 8: Nach einem Pass ist Vincent Vermeij (Freiburg II) frei durch, wird aber von Schiedsrichter Martin Petersen wegen einer vermeintlichen Abseitsposition zurückgepfiffen. [TV-Bilder – ab Minute 0:35]

Babak Rafati: Beim Zuspiel eines Freiburgers auf Mitspieler Guttau steht dieser nicht im Abseits, zudem lässt Guttau den Ball nur durch. Daraufhin kommt Vermeij an den Ball, der beim ersten Pass, der maßgeblich für die Bewertung der Abseitsposition ist, weil es das letzte Zuspiel ist, nicht im Abseits steht. Somit liegt eine Fehlentscheidung vor, auf Abseits zu entscheiden. Wäre Guttau zuletzt am Ball, wäre diese Berührung als letztes Abspiel maßgeblich, dann wäre Vermeij in Abseitsposition, was aber nicht der Fall ist.

Szene 9: Im Strafraum bekommt erst Tim Knipping (Dresden) und dann Jakob Lewald (Dresden) den Ball nach einem Schuss von Jordy Makengo (Freiburg II) an den Arm. Kein Elfmeter, sagt Petersen. [TV-Bilder – ab Minute 1:24:10]

Babak Rafati: Knipping hat den Arm klar am Körper angelegt, sodass keine Absicht vorliegt, den Ball an den Arm zu bekommen. Von Knippings Hand springt der Ball aus kurzer Entfernung an den Arm von Lewald, und auch er hat den Arm am Körper angelegt, sodass in beiden Situationen eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 10: Mansour Ouro-Tagba (1860) dringt in den Strafraum ein und geht gegen Dave Gnaase (Saarbrücken) zu Fall. Kein Strafstoß, sagt Schiedsrichter Florian Exner. [TV-Bilder – ab Minute 1:53:10]

Babak Rafati: Bei diesem Laufduell nehmen Ouro-Tagba und Gegenspieler Gnaase den Körper zur Hilfe und setzen diesen regelgerecht ein, sodass kein Foulspiel vorliegt. Auch im Fußbereich ist alles sauber. Somit eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 11: Im Zweikampf blockt Calogero Rizzuto (Saarbrücken) seinen Gegenspieler Leandro Morgalla (1860) mit dem Ellenbogen weg, kommt aber mit einer Ermahnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:53:30]

Babak Rafati: Rizzuto dreht sich im Zweikampf um, will den Ball blocken und trifft mit dem Rücken Gegenspieler Morgalla ins Gesicht. Das ist unstrittig ein Foulspiel, allerdings kein gelbwürdiges – auch, wenn sich Morgalla bei dieser Aktion weh tut. Eine richtige Entscheidung, keine Karte für diese Aktion auszusprechen.

 

Szene 12: Bei einem Laufduell mit Moritz Fritz (Köln) geht Philipp Besong (Aue) im Strafraum zu Fall. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichterin Franziska Wildfeuer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 51:45]

Babak Rafati: Besong legt sich den Ball an Gegenspieler Fritz vorbei. Der Kölner will noch zum Ball, trifft Besong allerdings am Fuß und bringt ihn dadurch entscheidend zu Fall. Das ist ein Foulspiel, und somit hätte es einen Elfmeter sowie die gelbe Karte gegen Fritz geben müssen, da die Aktion ballorientiert ist und somit keine rote Karte vorgeschrieben ist. Eine Fehlentscheidung, diesen Elfmeter nicht zu pfeifen.

Das Verhalten von Besong ist vorbildlich, dass er die Entscheidung akzeptiert. Im Anschluss zeigen aber die Mitspieler von Besong umso mehr ihren Unmut über diese Entscheidung. Die Ursache, warum dieser Elfmeter übersehen wird, ist einfach. Die Schiedsrichterin bleibt beim Klärungsversuch des Kölner Spielers, der den Ball zurückspielt, im Mittelfeld kurz stehen, weil sie die Gefahr als abgeschlossen sieht. Deshalb verliert sie an Entfernung zum Tatort und ist nicht mehr schnell genug in Spielnähe, um diesen Vorgang aus einer besseren Position beurteilen zu können.

Szene 13: Im Strafraum geht Dimitrij Nazarov (Aue) gegen Niklas May (Köln) zu Fall, Wildfeuer zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 2:15]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf will May sicherlich zum Ball, trifft aber unglücklich den Fuß von Nazarov und bringt ihn deshalb zu Fall. Auch wenn Nazarov mehr daraus macht und sich theatralisch fallen lässt, liegt ein Foulspiel vor, so dass eine richtige Entscheidung vorliegt, einen Elfmeter zu pfeifen. Natürlich nehmen Angreifer solche Treffer branchenüblich dankend an und lassen sich entsprechend fallen, daher vielleicht auch die Einlage von Nazarov.

 

Szene 14: Im Zweikampf mit Joel Grodowski (Verl) kommt Patrick Schmidt zu Fall, Schiedsrichter Marc Philip Eckermann gibt Elfmeter für Ingolstadt. [TV-Bilder – ab Minute 0:15]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf ist Grodowski vor Schmidt am Ball und begeht somit kein Foulspiel. Schmidt kommt etwas zu spät, trifft ins Leere und kommt dann erst zu Fall. Dadurch liegt kein Foulspiel vor, somit ist es eine Fehlentscheidung, diesen Elfmeter zu pfeifen. Dieser Umstand ist sicherlich auch dem Stellungsspiel des Schiedsrichters geschuldet, der unglücklich mittendrin im Geschehen und viel zu nah zum Zweikampf steht und somit nicht die optimale Position sowie optimalen Blick zum Sachverhalt hat.

Szene 15: Für ein rüdes Foul an Nicolas Sessa (SC Verl) kommt Dominik Franke (Ingolstadt) mit Gelb davon. [TV-Bilder – ab Minute 3:45]

Babak Rafati: Franke kommt angerauscht, grätscht zum Ball und trifft auch nur das Spielgerät und nicht Sessa. Diesen Einsatz trotzdem als Foulspiel zu werten, ist richtig, weil der Einsatz rücksichtslos ist. Somit liegt zunächst einmal eine richtige Entscheidung vor, überhaupt zu pfeifen und diese Spielweise zu unterbinden. Bei der Frage der Kartenfarbe gibt es Argumente sowohl für eine gelbe als auch eine rote Karte. Ja, die Gesundheit des Gegenspielers wird gefährdet, aber wiederum gibt es keinen bzw. minimalen Kontakt, sodass das Trefferbild eine rote Karte schlecht rechtfertigen würde. Andererseits, wenn Sessa nicht hochspringt, kann die Gesundheitsgefährdung wieder in Kraft treten. Für mich ist in dieser Szene beides möglich, sodass man von einer vertretbaren Entscheidung sprechen kann. Hier gilt am Ende nach "Sinn und Geist" der Regel zu ahnden, nämlich was passiert ist und nicht was hätte passieren können. An dieser Stelle muss man aber auch klarstellen, dass eine rote Karte auch vertretbar wäre, aber eben die gelbe Karte besser ist.

Weiterlesen: Wer bislang am häufigsten benachteiligt wurde

   

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