Strittige Szenen am 35. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die nicht gegebenen Elfmeter für Ulm, 1860, Regensburg, Essen und Saarbrücken, das 2:1 für Ulm, die Strafstöße für Bielefeld und Dortmund II, der Platzverweis gegen Abifade, ein verwehrter Treffer für Verl, ein nicht gegebener Freistoß für Regensburg sowie Foulspiele von Kanuric, Kopacz und Götze: Am 35. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 15 strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 53-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Auf Höhe der Strafraumlinie bekommt Alexander Lungwitz (Freiburg II) den Ball nach einem Schuss von Thomas Kastanaras (Ulm) an die Hand. Es gibt Freistoß statt Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 0:20]
Babak Rafati: Wenn man die Position von Lungwitz sieht, ist das Handspiel tendenziell eher auf der Strafraumlinie beziehungsweise knapp innerhalb des Strafraums, sodass es für dieses Handspiel, das strafbar ist, einen Elfmeter hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung auf Freistoß zu entscheiden und den Tatort nach außerhalb zu verlegen. In dieser Szene hätte der Assistent, trotz seines seitlichen Einblicks, nicht helfen können, da er richtigerweise auf Abseits achtet und versetzt zur Strafraumlinie steht. Wäre der Schiedsrichter aber ein wenig mehr Richtung Strafraumlinie eingerückt, wäre es optimaler gewesen, den Tatort zu erkennen.
Szene 2: Nach einer Ecke bringt Tom Gaal (Ulm) den Ball im Tor unter, bekommt diesen zuvor aber die Hand. Der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 3:05]
Babak Rafati: Gaal bekommt den Ball an den Arm, und auch wenn man dieses Handspiel als unabsichtlich bewerten würde, dürfte der Treffer nicht zählen, da eine Unmittelbarkeit vorliegt. Das bedeutet, wenn ein Spieler – unabhängig von der Absicht – den Ball mit der Hand spielt und unmittelbar danach den Ball ins Tor schießt, wird dies strafbar. Somit eine Fehlentscheidung, den Treffer anzuerkennen. Den Spieler zu befragen, ist immer problematisch, da, um es mal vorsichtig auszudrücken, dieser verständlicherweise meistens eine andere Wahrnehmung hat.
Szene 3: Im Strafraum kommt es zu einem Kontakt von Manuel Stiefler (Unterhaching) gegen Fynn Lakenmacher (1860), einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:00]
Babak Rafati: Stiefler will im Zweikampf mit Lakenmacher den Ball klären, kommt aber etwas zu spät und trifft ihn mit dem gestreckten Bein am Fuß. Das ist ein Foulspiel, und es hätte einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und das Vergehen nicht zu ahnden. Eine Karte wäre nicht erforderlich.
Szene 4: Bei einem Schussversuch im Strafraum geht Morris Schröter (1860) gegen Manuel Stiefler (Unterhaching) zu Fall, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 2:00]
Babak Rafati: Schröter kommt zum Abschluss, wird aber dennoch von Stiefler kurz und ansatzlos von hinten in die Beine getroffen. Das ist ein Foulspiel, sodass es einen Elfmeter hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, erneut nicht auf den Punkt zu zeigen. Eine Karte wäre nicht erforderlich. Oftmals lassen die Schiedsrichter in der Praxis das Vergehen unberücksichtigt, wenn der Angreifer zum Abschluss kommt.
Szene 5: Im Strafraum kommt Elias Huth (Regensburg) gegen Claudio Kammerknecht (Dresden) zu Fall, Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck lässt das Spiel weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:40:50]
Babak Rafati: Nach einer Flanke kommt es zu einem Zweikampf zwischen Kammerknecht und Huth, bei dem alles im Rahmen und bei der Flugeinlage von Huth nichts Regelwidriges von Kammerknecht erkennbar ist. Auch das Fallmuster sieht normal aus und signalisiert, dass kein Foulspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 6: Auf dem Weg zum Tor wird Dominik Kother (Regensburg) von Luca Hermann (Dresden) am Fuß getroffen, einen Freistoß gibt Jöllenbeck nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:51:00]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf legt sich Kother den Ball vor dem Strafraum vor. Hermann kommt einen Moment zu spät, trifft Kother am Fuß und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein Foulspiel, und somit hätte es einen Freistoß geben müssen. Eine gelbe Karte für Hermann hätte es obendrein auch geben müssen, da eine aussichtsreiche Chance unterbunden wird. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und das Vergehen nicht zu ahnden. Auch die anschließende Geste von Hermann, Kother fast schon zu trösten, spricht eine klare Sprache.
Szene 7: Einen Schuss von Fabian Klos (Bielefeld) bekommt Sören Reddemann (Lübeck) im Strafraum erst ins Gesicht und dann an den Arm. Schiedsrichter Nico Fuchs gibt Elfmeter für Bielefeld. [TV-Bilder – ab Minute 0:40]
Babak Rafati: Unabhängig davon, ob der Ball in dieser Szene zuerst an den Kopf geht oder direkt an den Arm gelangt, ist der Arm von Reddemann über der Schulterhöhe. Da hat der Arm einfach nichts zu suchen, sodass ein strafbares Handspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, auf Elfmeter zu entscheiden.
Szene 8: Im Mittelfeld nimmt der bereits verwarnte Samuel Abifade (Mannheim) das Bein bei einem Zweikampf mit Torge Paetow (Verl) zu hoch, trifft ihn und sieht von Schiedsrichter Felix Prigan Gelb-Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:00]
Babak Rafati: Auch wenn Abifade nur den Ball spielen will und nicht sieht, dass sein Gegenspieler Paetow von hinten angelaufen kommt, liegt bei diesem Treffer im Gesicht ein rücksichtsloses Spielen vor, sodass die gelb-rote Karte absolut berechtigt ist, da ein rücksichtsloses Foulspiel die gelbe Karte nach sich zieht.
Szene 9: Eine Kopfball-Verlängerung von Lokotsch (Verl) bringt Patrick Kammerbauer zum 2:1 im Tor unter. Allerdings entscheidet Prigan auf Stürmerfoul gegen Marcel Seegert und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:58:25]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf von Kammerbauer gegen Seegert hat dieser die Hände zwar ein wenig im Spiel, aber Kontakt ist erlaubt und für ein Foulspiel liegt einfach zu wenig vor, auch wenn der Verteidiger den leichten Kontakt annimmt und zu Fall geht. Womöglich nimmt er diesen leichten Kontakt zum Anlass, zu Fall zu kommen, da er in einer schlechteren Position zum Ball steht, quasi ein Stellungsfehler. Der Kontakt ist schlussendlich nicht ursächlich für das Zufallkommen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, auf Foulspiel zu entscheiden und den anschließenden Treffer nicht zu geben. Auf der anderen Seite würde auch für solch ein Vergehen kein Elfmeter gepfiffen werden. Diese Zweikämpfe gehören zum Fußballsport einfach dazu.
Szene 10: Benjamin Kanuric (Ingolstadt) geht gegen Luca Brumme (Essen) zu Werke und verletzt ihn dabei, sieht aber keine Karte. [TV-Bilder – ab Minute 0:50]
Babak Rafati: Das Foulspiel von Kanuric an Brumme ist ein Allerweltsfoul, zumal er sich nur zum Gegenspieler dreht, um den Ball zu blocken. Der Zusammenprall und die anschließend verletzungsbedingte Auswechslung sind unglücklich, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, keine Karte zu zeigen. Eine Verletzung des Gegenspielers ist nicht immer gleichbedeutend mit einer Karte.
Szene 11: Auf dem Weg Richtung Tor geht Isaiah Young (Essen) im Duell mit Simon Lorenz (Ingolstadt) zu Fall, der Schiedsrichter zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 1:03:20]
Babak Rafati: Das TV-Bild gibt nicht viel her, sodass nicht zweifelsfrei auflösbar ist, ob eine richtige oder falsche Entscheidung vorliegt. Der Schiedsrichter hat aber eine optimale Position zum Vorgang, sodass der Blick besser ist, als unser Blick vor dem TV aus der Entfernung.
Szene 12: David Kopacz (Ingolstadt) setzt gegen Jakob Golz (Essen) nach, sieht aber nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:53:15]
Babak Rafati: Kopacz hält im Zweikampf gegen Golz nur das Bein vor den Ball, um diesen zu blocken und bringt Golz nur durch den Zusammenprall zu Fall und nicht etwa durch einen Fußtreffer. Somit ist die gelbe Karte eine richtige Entscheidung. Somit gäbe es überhaupt kein Trefferbild für eine höhere Strafe.
Szene 15: Felix Götze (Essen) stellt Jannik Mause (Ingolstadt) bei einem Zweikampf ein Bein, kommt aber mit Gelb davon. [TV-Bilder – ab Minute 2:08:15]
Babak Rafati: Götze spielt den Ball zum eigenen Torwart zurück. Mause will dem Ball hinterherlaufen, und dabei stellt Götze seinem Gegenspieler das Bein und bringt ihn zu Fall. Das ist ein Foulspiel, das völlig unnötig ist. Aber dadurch, dass es zwar nur die Absicht hat, Mause daran zu hindern, zum Ball zu laufen und nur gegnerorientiert ist, ist festzuhalten, dass mehr als eine gelbe Karte nicht möglich ist. Hätte Mause die Chance gehabt, an den Ball zu kommen, wäre es eine Verhinderung einer Torchance gewesen, dann wäre eine rote Karte unumgänglich. Auch wenn der Ball zum Zeitpunkt des Foulspiels fast in der Mitte vom Keeper und Mause ist, muss berücksichtigt werden, dass der Ball nicht ruht, sondern auf dem Weg Richtung Keeper rollt, sodass der Angreifer nicht mehr an den Ball herangekommen wäre. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, neben dem Freistoß es lediglich bei einer gelben Karte zu belassen.
Szene 14: Luca Kerber (Saarbrücken) kommt im Strafraum bei einem Duell mit Jonas Nietfeld (Halle) zu Fall, Schiedsrichter Florian Lechner pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:47:05]
Babak Rafati: Der Zweikampf von Nietfeld gegen Kerber ist absolut regelgerecht, da er nur den Ball mit dem Kopf spielt. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, nicht auf Elfmeter zu entscheiden. Die Reklamation der angreifenden Mannschaft ist auf eine nicht gegebene Ecke zurückzuführen, die es hätte geben müssen. Keinen Eckball zu geben, ist aber eine Fehlentscheidung, da Halles Eitschberger zuletzt den Ball berührt, bevor das Spielgerät die Torlinie überquert.
Szene 15: Im Strafraum geht Julian Hettwer (Dortmund II) im Duell mit dem bereits verwarnten Niko Vukancic (Aue) zu Fall, Schiedsrichter Luca Jürgensen gibt Elfmeter. Gelb-Rot sieht Vukancic nicht. [TV-Bilder – ab Minute 3:00]
Babak Rafati: Das Foulspiel von Vukancic gegen Hettwer ist unumstritten, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, auf Elfmeter zu entscheiden. Eine Karte hierfür ist nicht vorgeschrieben, weil noch weitere Spieler von Aue in unmittelbarer Nähe stehen und eingreifen können. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, keine Karte zu zeigen.
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