Strittige Szenen am 36. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die nicht gegebenen Elfmeter für Bayreuth, Freiburg II, Essen, 1860 München, Osnabrück, Mannheim und Aue, das 2:1 für Köln, das 3:2 für Dortmund II, der Strafstoß für Freiburg II und ein Zweikampf zwischen Puttkammer und Simakala. Am 36. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 13 strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 52-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Im Strafraum geht Alexander Nollenberger (Bayreuth) im Duell mit Ben Voll (Köln) zu Fall, auf den Punkt zeigt Schiedsrichter Richard Hempel nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:40]
Babak Rafati: Im Strafraum legt sich Nollenberger den Ball am herausspringenden Keeper Voll vorbei und ist dabei früher am Ball. Der Keeper will auch den Ball spielen, trifft das Spielgerät aber nicht mehr. Stattdessen trifft er den Angreifer mit den Armen in die Beine und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein Foulspiel, und somit hätte es einen Elfmeter geben müssen. Auch wenn diese Szenen für einen Schiedsrichter schwierig zu bewerten sind, gibt es Möglichkeiten, die man zur Entscheidungsfindung heranziehen kann. Wenn der Torhüter in dieser Szene den Ball getroffen hätte, wäre der Ball zur Seite gerollt. Da aber der Angreifer am Ball ist und sich das Spielgerät vorlegt, rollt der Ball vorwärts. Diese Argumentation hätte selbst bei nicht optimalem Blickwinkel zum Zweikampf sehr gut helfen können. Eine Fehlentscheidung, keinen Elfmeter zu geben.
Szene 2: Nach Vorlage von Nicolas May (Köln) trifft André Becker zum 2:1 für Köln. Bayreuth reklamiert, dass der Ball vor dem Zuspiel bereits im Aus gewesen sei. Hempel gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 1:20]
Babak Rafati: Ob der Ball tatsächlich bereits im Toraus war, kann anhand der vorliegenden TV-Bilder nicht zweifelsfrei bewertet werden. Dadurch, dass der Ball mit vollem Umfang (!) die Linien überschreiten muss, um aus dem Spiel zu sein, kann man nur mutmaßen, aber das hilft nicht wirklich weiter. Auch ist es schwierig anhand der Position von May, eine Tendenz auszumachen.
Szene 3: Im Strafraum will Stefan Maderer (Bayreuth) zum Abschluss kommen, wird aber von Moritz Fritz (Köln) gehalten und geht zu Boden. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:41:15]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf zwischen Maderer und Fritz verhält sich der Verteidiger regelkonform. Der Angreifer dreht sich in den Verteidiger hinein und will den Kontakt suchen, um einen möglichen Elfmeter zu schinden, wie es mittlerweile handelsüblich ist. Allerdings liegt in dieser Szene kein Foulspiel vor, sodass es eine richtige Entscheidung ist, weiterspielen zu lassen.
Szene 4: Mika Baur (Freiburg II) will in den Strafraum eindringen, kommt aber auf der Strafraumlinie gegen Semih Sahin (Elversberg) zu Fall und fordert einen Elfmeter, den Schiedsrichter Timo Gerach jedoch nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 33:20]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf legt sich Baur den Ball im Strafraum an Sahin vorbei und kommt dann zu Fall. Natürlich gibt es einen Kontakt, aber nicht jeder Kontakt ist gleich ein Foulspiel, denn Fußball ist nun mal ein Kontaktsport. Sahin geht zwar in den Zweikampf, er "stellt" aber den Gegenspieler nur und begeht dabei kein Foulspiel. Baur nimmt diesen Kontakt dankend an und kommt sehr leicht zu Fall. In dieser Szene weiterspielen zu lassen, ist eine richtige Entscheidung.
Szene 5: Jordy Makengo (Freiburg II) wird im Strafraum von Robin Fellhauer (Elversberg) getroffen, läuft zunächst aber weiter und kommt erst dann zu Fall. Gerach gibt Elfmeter für Freiburg II. [TV-Bilder – ab Minute 1:20]
Babak Rafati: Makengo kommt früher im Strafraum an den Ball und kann sich das Spielgerät vorlegen. Gegenspieler Fellhauer kommt etwas zu spät und trifft Makengo ein wenig am Fuß. Allerdings ist dieser Fußtreffer nicht so intensiv, dass man von einem Foulspiel sprechen könnte. Wenn tatsächlich ein Foulspiel vorliegen würde, wäre der Fußtreffer ursächlich für das Zufallkommen des Angreifers. Aber gerade, dass Makengo weiterläuft und sich erst nach einem Schritt fallen lässt, zeigt, dass der Kontakt dankend angenommen wird und der Angreifer erst nach kurzer Reaktion bzw. Überlegung zu Fall geht. Hier wäre weiterspielen die richtige Entscheidung, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt.
Szene 6: Lawrence Ennali (Essen) will einen Ball erlaufen, geht aber im Duell mit einem 1860-Verteidiger zu Fall. Schiedsrichter Patrick Schwengers lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 37:55]
Babak Rafati: Ennali will einen Ball erlaufen, erkennt aber womöglich, dass er an das Spielgerät nicht mehr herankommt, läuft selbstverschuldet in seinen Gegenspieler rein und kommt anschließend zu Fall. Auch wenn der Abstand vom Angreifer und dem Torwart zum Ball in etwa gleich ist, muss berücksichtigt werden, dass der Angreifer keine Chance mehr hätte, an den Ball zu kommen, da der Ball nicht liegt, sondern Richtung Torwart rollt und er deshalb schneller an den Ball gekommen wäre. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 7: Im Strafraum kommt Lawrence Ennali (Essen) an den Ball und geht gegen Semi Belkahia (1860) zu Fall. Elfmeter gibt Schwengers jedoch nicht, stattdessen entscheidet er auf Stürmerfoul. [TV-Bilder – ab Minute 1:20:10]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf will Belkahia im Strafraum zum Ball und streckt den Fuß im natürlichen Bewegungsablauf zum Spielgerät. Dabei kommt Ennali angelaufen und will sicherlich auch zum Ball, er trifft allerdings den Verteidiger von hinten in die Beine und bringt ihn dadurch zu Fall. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, Stürmerfoul zu pfeifen.
Szene 8: Marcel Bär (1860) läuft alleine auf das Tor zu, wird im letzten Moment aber noch von José-Enrique Ríos Alonso (Essen) eingeholt und geht dabei zu Fall. Kein Foul, entscheidet der Schiedsrichter. [TV-Bilder – ab Minute 1:22:25]
Babak Rafati: Beim Laufduell zwischen Bär und Rios Alonso verstolpert der Angreifer selbst und kommt deshalb aus dem Gleichgewicht und schlussendlich zu Fall. Der Verteidiger verhält sich absolut regelkonform, sodass kein Foulspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 9: Im Anschluss an eine Ecke für den VfL Osnabrück spielt Willi Evseev (Meppen) den Ball im Strafraum mit der Hand, auf den Punkt zeigt Schiedsrichter Robert Kampka nicht. [TV-Bilder – ab Minute 20:40]
Babak Rafati: Nach einer Ecke kommt es zu einem Zweikampf zwischen Evseev und einem Osnabrücker Angreifer. Dabei gelangt der Ball zwischen beide Spieler und wird zwischen ihnen eingeklemmt. Evseev ist dann mit dem Arm am Ball, und auch der Osnabrücker ist ein wenig mit dem Arm am Ball. Allerdings sind beide Vergehen nicht strafbar, zumal das des Osnabrückers absolut vernachlässigt werden kann. Evseevs Arm ist in natürlicher Haltung, da er den Arm im Zweikampf am Körper des Gegenspielers hat und den Ball in diesem Bewegungsablauf an den Arm bekommt. Somit liegt keine aktive oder bewusste Bewegung zum Ball vor. Man sieht sogar, dass Evseev ein wenig orientierungslos ist, wo denn der Ball ist. Handspiele müssen klar und deutlich sein. In dieser Situation hat Evseev keine Chance, den Arm wegzunehmen, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, keinen Elfmeter zu geben. Auch wenn die Zeitlupe suggeriert, dass Evseev genug Zeit hätte, den Arm wegziehen, sei erwähnt, dass im normalen Ablauf erkennbar ist, dass der Moment des Handspiels doch sehr kurz ist.
Szene 10: Nach einem Pass von Marc Heider will Ba-Muaka Simakala (Osnabrück) zum Ball, wird aber von Steffen Puttkammer gehalten und geht zu Fall. Kampka belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 2:10:20]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf ist kein Foulspiel von Puttkammer an Simakala erkennbar, vielmehr schmeißt sich der Angreifer in den Zweikampf, um einen Freistoß zu schinden. Somit liegt eine Fehlentscheidung vor, überhaupt zu pfeifen und einen Freistoß zu verhängen. Wenn es zudem ein Foulspiel gewesen wäre, hätte es die rote Karte wegen Notbremse geben müssen, da eine sehr gute Torchance vorliegt und die anderen Verteidiger nicht mehr eingreifen hätten können.
Szene 11: Nach einer Flanke geht Berkan Taz (Mannheim) im Strafraum zum Ball, kommt im Duell mit Leon Deichmann (Oldenburg) aber zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Patrick Kessel. [TV-Bilder – ab Minute 1:47:50]
Babak Rafati: Nach einer Flanke kann Taz den Ball auf das Tor bringen. Gegenspieler Deichmann kommt etwas zu spät, trifft den Angreifer unmittelbar nach dem Schuss in die Füße und bringt ihn somit nach dem Schuss zu Fall. Das könnte man als Foulspiel auslegen. Allerdings hat sich in der Praxis bei den Schiedsrichtern eingebürgert, dass wenn eine Aktion abgeschlossen ist und der Angreifer in der Wirkung des Torschusses nicht gestört wurde, wie in diesem Fall, dass nicht gepfiffen wird. Natürlich nur dann, wenn die Attacke nicht darauf abzielt, den Gegenspieler bewusst zu foulen oder verletzen zu wollen. Das ist in diesem Fall nicht gegeben. Regeltechnisch (!) hätte es einen Elfmeter geben können, aber daran müssen wir uns gewöhnen, dass solche Szenen fast immer durchgehen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das regeltechnisch als eine Fehlentscheidung angesehen werden kann, keinen Elfmeter zu pfeifen, aber eben praxisnäher ist.
Szene 12: Sam Schreck (Aue) geht bei einem Zweikampf gegen Falko Michel (Dortmund II) im Mittelfeld zu Boden, Schiedsrichter Assad Nouhoum lässt weiterlaufen. Aus dem Angriff fällt das 3:2 für den BVB. [TV-Bilder – ab Minute 2:55]
Babak Rafati: Michel grätscht im Zweikampf gegen Schreck, spielt klar und deutlich den Ball und foult keinesfalls seinen Gegenspieler, sodass der Zweikampf sauber ist und somit eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen und den anschließenden Treffer anzuerkennen.
Szene 13: Im Strafraum bekommt Korbinian Burger (Aue) den Ellenbogen von Antonios Papadopoulos (Dortmund II) in den Nacken und geht zu Fall, einen Elfmeter gibt Nouhoum nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:02:20]
Babak Rafati: Nach einem langen Ball in den Strafraum will Burger das Spielgerät mit dem Kopf klären. Dabei kommt Papadopoulos an und rennt ein wenig in ihn hinein, was man aber noch im Bereich des Erlaubten laufen lassen kann. Daraufhin nimmt der Dortmunder den Arm leicht heraus, und es kommt hierbei zum Kontakt mit Burger. Dieser Armeinsatz passiert aus dem Bewegungsablauf des Zusammenpralls und ist daher nicht als Foulspiel auszulegen, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.
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