Strittige Szenen am 38. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die verwehrten Elfmeter für Ingolstadt, die Platzverweise gegen Hiller und Vunguidica, das 2:0 von Ingolstadt und die Elfmeter für den FCI: Am 38. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de sechs Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga & FIFA Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, u.a. bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation (www.babak-rafati.de).
Szene 1: Einen Eckball des FC Ingolstadt bekommt Dennis Erdmann (1860) im Strafraum an die Hand, Schiedsrichter Deniz Aytekin lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 0:25]
Babak Rafati: Nach einem Eckball für Ingolstadt berührt ein Ingolstädter den Ball mit dem Kopf, und von da aus springt der Ball an den ausgespreizten Arm von Erdmann, der den Ball blocken kann. Das ist ein strafbares Handspiel, weil die Berührung bei der Kopfballverlängerung derartig minimal ist, dass kaum eine Richtungsänderung vorliegt und somit der Ball eine lange Flugbahn vor dem Handspiel hat. Zudem nimmt Erdmann fahrlässig in Kauf, dass der Ball an den Arm springt. Es hätte einen Elfmeter für Ingolstadt geben müssen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt.
Szene 2: Fatih Kaya läuft frei auf das Tor von 1860 zu und geht im Duell mit Torhüter Marco Hiller außerhalb des Strafraums zu fall. Aytekin entscheidet auf Notbremse und zeigt Hiller Rot. [TV-Bilder – ab Minute 17:05]
Babak Rafati: Nach einem langen Ball läuft Kaya allein auf das gegnerische Tor zu. Dabei kommt Keeper Hiller aus seinem Tor herausgeeilt. Kaya legt sich circa 18 Meter vor dem Tor den Ball links am Torwart vorbei und will dann an ihm vorbeilaufen. Allerdings springt Hiller mit dem ausgestreckten Bein dazwischen und anschließend kommt Kaya zu Fall. Der Schiedsrichter pfeift. Hierbei stellen sich zwei Fragen. War das ein Foul vom Keeper und wenn ja, war das eine Vereitelung einer klaren Torchance und somit eine Notbremse?
Zur Notbremse gibt es keine zwei Meinungen: Kaya wäre allein auf das leere Tor zugelaufen, da die beiden Verteidiger von 1860 München nicht mehr hätten eingreifen können. Auch kann man nicht argumentieren, dass er sich den Ball zu weit nach links gelegt hat. Das sind 1-2 Meter und das reicht in der 3.Liga nicht, um das leere Tor nicht zu treffen.
Zur Frage Foul oder kein Foul: Hier wird es knifflig. Es sieht danach aus, dass der Keeper mit dem ausgestreckten Bein Kaya an dessen linken Fuß trifft, aber selbst im TV-Bild ist nicht zweifelsfrei aufzulösen, ob es tatsächlich diesen Kontakt gibt, der in dieser hohen Geschwindigkeit ausreichen würde. Deshalb ist der Schiedsrichter auch beim Pfiff noch unentschlossen, was man klar an seiner abwartenden Körpersprache erkennt – sonst wäre der Schiedsrichter schon aus 10 Metern mit der roten Karte in der Hand auf den Torhüter zugelaufen.
Fakt ist, dass bei diesen Szenen immer zu berücksichtigen ist, ob der Angreifer nicht hätte ein Tor erzielen können oder ob er sich den Ball zu weit vorgelegt beziehungsweise zu weit zur Seite und somit dieses Manko als Anlass nimmt, einen Kontakt dankend anzunehmen, da seine Aussicht auf eine Torerzielung womöglich schlecht ist. Das kann man in dieser Szene mit dem Standbild klar verneinen. Das ist eine Notbremse, wenn es ein Foulspiel ist. Zudem nimmt ein Torwart bei solchen Ausflügen immer in Kauf, selbst mit einem minimalen Treffer einen Angreifer, der aus vollem Lauf entgegenläuft, zu berühren und somit entscheidend aus dem Tritt zu bringen. Man muss in dieser Szene dem Schiedsrichter zugutehalten, dass er all diese Indizien zum Zeitpunkt des Foulspiels nicht zur Verfügung hat. Hier kann sich ein Schiedsrichter meistens nur auf sein Bauchgefühl verlassen, was in diesem Fall auch gelingt. Sehr gut vorstellbar, dass der Schiedsrichter zum Zeitpunkt des Pfiffs nicht wusste, für welche Kartenfarbe er sich gleich entscheiden wird. Er nimmt sich die notwendige Zeit und wird womöglich das Verhalten von Hiller, nachdem ihn die Gegenspieler attackieren, in seine Entscheidungsfindung eingebracht haben. Wenn man all diese Fakten und Indizien zusammenführt, liegt eine vertretbare Entscheidung vor, Hiller die rote Karte wegen Notbremse zu zeigen.
Szene 3: Nach einer Ecke geht Stefan Kutschke (Ingolstadt) im Duell mit Dennis Erdmann (1860) zu Fall. Einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:08:20]
Babak Rafati: Sicherlich ist Erdmann am Trikot von Kutschke, aber das ist branchenüblich und wird nicht abgepfiffen. Wäre Kutschke besser zum Ball postiert und hätte der Griff von Erdmann am Trikot entscheidend dazu beigetragen, dass Kutschke nicht zum Kopfball kommt, wäre es natürlich ein Foulspiel und folglich ein Elfmeter. Hier liegt aber eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen. Dass sich beide danach gegenseitig bedrängen und zu Boden gehen, passiert, nachdem der Ball im Toraus ist, sodass es dafür keine Spielstrafe (Elfmeter) geben kann, lediglich persönliche Strafen (gelbe/rote Karte), die der Schiedsrichter auch jeweils mit der gelben Karte ausspricht.
Szene 4: Vor dem Ingolstädter Strafraum kommt es zu einem Zweikampf zwischen Dominik Franke (Ingolstadt) und Philipp Steinhart (1860), der Schiedsrichter lässt weiterlaufen. Aus dem Angriff fällt das 2:0 für Ingolstadt. [TV-Bilder – ab Minute 2:05]
Babak Rafati: Vor dem Strafraum von Ingolstadt kommt es zu einem Zweikampf. Dabei geht Franke zuerst zum Ball und spielt diesen. Unmittelbar während dieser Aktion streckt Steinhart das Bein aus, will auch zum Ball, berührt kurz darauf den bereits gespielten Ball und bekommt dabei den Fuß von Franke in dessen Ausholbewegung zum Ball an den eigenen Fuß. Diesen Vorgang kann man selbst im normalen Ablauf durch die Flugbahn des Balles erkennen. Dadurch, dass der Ball Spielobjekt ist, liegt kein Foulspiel vor, sodass das 2:0 für Ingolstadt regulär ist. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 5: Im Strafraum kommt es zu einem Zweikampf zwischen Erik Tallig (1860) und Merlin Röhl (Ingolstadt). Der Ingolstädter geht zu Boden, es gibt Elfmeter für Ingolstadt. Diesen verschießt Dennis Eckert-Ayensa, wird dann aber von Philipp Steinhart (1860) gefoult, sodass es erneut Elfmeter gibt. [TV-Bilder – ab Minute 4:30]
Babak Rafati: Beim ersten Zweikampf im Strafraum von 1860 München reißt Tallig seinen Gegenspieler Röhl mit dem rechten Arm im Oberkörperbereich zu Boden, sodass die erste Elfmeterentscheidung richtig ist. Nachdem Eckert-Ayensa den fälligen Elfmeter verschießt, kommt es im Anschluss erneut zu einem Zweikampf, bei dem Steinhart von hinten in die Beine vom ursprünglichen Schützen springt, ihn trifft und somit zu Boden bringt. Das ist erneut ein Foulspiel und somit ist auch diese Elfmeterentscheidung korrekt.
Szene 6: Nach einem Zweikampf behaken sich Yannik Möker (Zwickau) und José Pierre Vunguidica (Saarbrücken). Schiedsrichter Max Burda zeigt dem Saarbrücker Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:00]
Babak Rafati: Bei einem Zweikampf begeht Möker ein Foulspiel durch Halten/Umklammerung an Vunguidica. Dieser will sich befreien und führt die Hand ins Gesicht von Möker. Dabei ist aber kein Schlag, sondern vielmehr eine leichte Bewegung nach hinten auszumachen. So etwas sieht man häufiger. Das ist keine Tätlichkeit, eher eine Unsportlichkeit, die zu einer gelben Karte hätte führen müssen. Eine Fehlentscheidung, die rote Karte gegen den Saarbrücker zu zeigen.
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