Strittige Szenen am 4. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die nicht gegebenen Elfmeter für Ingolstadt, Verl, Duisburg, Freiburg II, Aue, Bayreuth und Mannheim, ein Foulspiel von Dortmunds Pfanne, der Platzverweis gegen Wiesbadens Heußer und der Strafstoß für Elversberg: Am 4. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de elf strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 52-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Marcel Costly (Ingolstadt) dringt in den Strafraum ein und geht gegen Tobias Schwede (Saarbrücken) zu Fall. Auf den Punkt zeigt Schiedsrichter Nicolas Winter nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:05]
Babak Rafati: Costly legt sich den Ball im Strafraum an Schwede vorbei und will an ihm vorbeilaufen. Dabei nimmt Schwede das Bein heraus, sodass Costly über das ausgestreckte Bein zu Fall kommt. Das ist ein klares Foulspiel. Der Schiedsrichter lässt jedoch, trotz gutem Blick zum Geschehen, weiterlaufen. Eine Fehlentscheidung, denn es hätte einen Elfmeter für Ingolstadt geben müssen.
Szene 2: Joel Grodowski (Verl) kommt im Strafraum bei einem Duell mit Christopher Lannert (1860) zu Fall. Schiedsrichter Felix Bickel lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 2:15]
Babak Rafati: Bei diesem Duell zwischen Grodowski und Lannert gibt es im Fußbereich kein Foulspiel. Wenn überhaupt liegt ein Kontakt vor, bei dem allerdings der Angreifer mit seinem linken Fuß selbst ein wenig hängen bleibt. Im Oberkörperbereich ziehen und zerren beide Spieler branchenüblich ein wenig, um sich im Kampf um den Ball einen Vorteil zu verschaffen. Dabei liegt auch hier kein Foulspiel vor. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 3: Im Strafraumzentrum wird Alaar Bakir (Duisburg) von Marvin Ajani in Szene gesetzt und kommt gegen Philipp Treu (Freiburg II) zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Konrad Oldhafer. [TV-Bilder – ab Minute 0:40]
Babak Rafati: Bei einer Hereingabe grätscht Treu im eigenen Strafraum zum Ball, um zu verhindern, dass sein Gegenspieler Bakir den Ball auf das Tor schießen kann. Dabei trifft er das Spielgerät nicht, sondern nur Bakir in die Beine und bringt ihn entscheidend zu Fall. Auch wenn Bakir den Ball zunächst nicht richtig trifft, kommt es anschließend eben zu diesem Foulspiel. In dieser Szene hätte es somit einen Elfmeter für Duisburg geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 4: Bei einem Luftzweikampf im Strafraum wird Vincent Vermeij (Freiburg II) von Marvin Senger (Duisburg) im Gesicht getroffen. Die Pfeife von Oldhafer bleibt stumm. [TV-Bilder – ab Minute 31:50]
Babak Rafati: Bei diesem Luftzweikampf springen Vermeij und Senger zum Kopfball hoch. Bevor Senger klar den Ball spielen und aus der Gefahrenzone bringen kann, nimmt er den Ellenbogen heraus, um – wie es häufig zu beobachten ist -, den Gegenspieler davon abzuhalten, den Ball zu erreichen. Dabei trifft er ihn mit dem Ellenbogen im Gesicht. Das ist zwar kein Schlag und auch keine Tätlichkeit, aber trotzdem ein Foulspiel, weil der Ellenbogen als sogenanntes "Werkzeug" und nicht als natürlicher Ellenbogen eingesetzt wird, sodass es einen Elfmeter für Freiburg und die gelbe Karte gegen Senger hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 5: Der bereits gelb-verwarnte Franz Pfanne (Dortmund II) foult Meiko Sponsel (Essen), kommt bei Schiedsrichter Patrick Hanslbauer aber mit einer Ermahnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:10]
Babak Rafati: Sponsel leitet sehr dynamisch und mit direktem Zug zum gegnerischen Tor einen guten Angriff ein und wird dabei von seinem Gegenspieler Pfanne durch ein Foulspiel aufgehalten und durch Beinstellen zu Fall gebracht. Diese Aktion ist nur dazu gedacht, einen guten Angriff zu unterbinden und den Gegner aus dem Rhythmus zu bringen. Daher muss dieses "taktische Foulspiel" mit einer gelben Karte geahndet werden, die in dieser Situation zu einer gelb-roten Karte geführt hätte. Eine Fehlentscheidung, in dieser Szene Gnade vor Recht ergehen zu lassen.
Szene 6: Nach einer Hereingabe in den Strafraum geht Elias Huth (Aue) im Duell mit Florian Carstens (Wiesbaden) zu Fall und fordert einen Elfmeter, den Schiedsrichter Dr. Robert Kampka jedoch nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 0:55]
Babak Rafati: Huth wird im Strafraum angespielt und legt sich den Ball vor. Dabei kommt sein Gegenspieler, der hinter ihm und somit in einer schlechteren Position zum Ball ist, hinzu, trifft Huth beim Versuch, den Ball wegzuspitzeln, hinten in die Hacken und bringt ihn zu Fall. Das ist ein Foulspiel, und somit hätte es einen Elfmeter sowie die gelbe Karte gegen Carstens geben müssen (ballorientiert, daher trotz Notbremse keine rote Karte). Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 7: Für ein Foul an Steffen Nkansah (Aue) sieht Robin Heußer (Wiesbaden) glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 3:00]
Babak Rafati: Heußer springt mit dem Bein sehr hoch und will den Ball mit dem ausgestreckten Fuß spielen. Dabei kommt sein Gegenspieler Nkansah angelaufen und will ebenfalls zum Ball. Das sieht Heußer, zieht daher im letzten Moment das ausgestreckte Bein zurück und trifft Nkansah somit nur sehr minimal. Er kann aber nicht mehr verhindern, dass er Nkansah mit einer Fußspitze leicht am Oberkörper touchiert und beim Abstoppen anspringt. Das Anspringen ist letztendlich das entscheidende Foulspiel.
Dadurch liegt keine brutale Spielweise mehr vor, die für den Gegenspieler gesundheitsgefährdend sein könnte, lediglich ein rücksichtsloses Spiel, sodass die gelbe Karte die richtige Entscheidung wäre. Der Schiedsrichter signalisiert das gestreckte Bein als Grund für die rote Karte, aber tatsächlich ist es eher das Anspringen, was Nkansah weh tut, was eben lediglich eine gelbe Karte nach sich ziehen würde. Eine Fehlentscheidung, in dieser Szene auf Rot zu entscheiden. Man muss dem Schiedsrichter aber auch zugutehalten, dass in realer Geschwindigkeit die Intensität des Trefferbildes nicht auszumachen ist, sodass die Entscheidung nachvollziehbar ist und folglich dem Schiedsrichter kein Vorwurf gemacht werden kann.
Szene 8: Im Strafraum geht Alexander Nollenberger (Bayreuth) nach einem Rempler von Sven Köhler (Osnabrück) zu Boden. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Tobias Schultes. [TV-Bilder – ab Minute 1:10]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf läuft Köhler seinem Gegenspieler Nollenberger nur in den Rücken und bringt ihn durch dieses "Über-den-Haufen-Laufen" zu Fall. Dieser Zweikampf ist nur gegnerorientiert und hat nichts mit Kampf um den Ball zu tun. Somit hätte es in dieser Szene einen Elfmeter geben müssen, zumal der Schiedsrichter freie Sicht hatte und das Geschehen zweifellos sehen kann. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 9: Auf dem Weg zum Tor geht Stefan Maderer (Bayreuth) im Strafraum gegen Florian Kleinhansl (Osnabrück) zu Fall. Schultes entscheidet auf Stürmerfoul. [TV-Bilder – ab Minute 1:37:30]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf zwischen Maderer und Kleinhansl ist im Oberkörperbereich noch alles regelkonform, sodass der Verteidiger in Bedrängnis und deshalb zu Fall kommt und weniger aufgrund eines möglichen Stürmerfouls. Anschließend will Kleinhansl den Ball gerade noch mit letzter Kraft klären, jedoch trifft er Maderer in die Füße und bringt ihn entscheidend zu Fall. Das ist ein Foulspiel, sodass es einen Elfmeter für Bayreuth sowie die gelbe Karte gegen Kleinhansl hätte geben müssen (keine rote Karte, da die Aktion ballorientiert ist). Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den fälligen Elfmeter für Bayreuth nicht zu geben.
Szene 10: Davy Frick (Zwickau) bekommt einen Schuss von Valdrin Mustafa (Elversberg) aus kurzer Distanz an die Hand, Schiedsrichter Mario Hildenbrand gibt Elfmeter für Elversberg. [TV-Bilder – ab Minute 1:00]
Babak Rafati: Mustafa will sich den Ball im gegnerischen Strafraum an Frick, der in unmittelbarer Nähe steht, vorbeilegen und lupft das Spielgerät aus sehr kurzer Distanz an den Arm von Frick. Dabei liegt klar und deutlich kein absichtliches Handspiel vor, sodass die Elfmeterentscheidung falsch ist, obwohl der Schiedsrichter in glänzender Position ist.
Szene 11: Sascha Risch (Meppen) bekommt einen Schuss im Strafraum möglicherweise an den Arm. Schiedsrichter Eric-Dominic Weisbach lässt weiterlaufen, aus dem Angriff fällt das 5:2 für Meppen. [TV-Bilder – ab Minute 3:30]
Babak Rafati: Nach einer Flanke in den Strafraum springt Risch hoch, um den Ball zu blocken. Dabei dreht er sich in natürlicher Weise vom Ball weg und bekommt das Spielgerät an den Arm, der angelegt ist. Dieses Wegdrehen in dieser Szene in Verbindung mit dem Arm am Ball stellt keine Absicht und somit kein strafbares Handspiel dar. Somit eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
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