Strittige Szenen am 5. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die Platzverweise gegen Halles Deniz, Münchens Rieder und Bayreuths Lippert, die Elfmeter für 1860, Ingolstadt und Duisburg, die verwehrten Strafstöße für Saarbrücken, Mannheim und Oldenburg, ein nicht anerkannter Treffer von Dresden, das 1:2 für Ingolstadt sowie die gelbe Karte gegen Vrenezi: Am 5. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zwölf strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 52-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Tunay Deniz (Halle) touchiert Stefan Lex (1860) an der Wade und sieht von Schiedsrichter Steven Greif für sein zweites Foulspiel Gelb-Rot. [TV-Bilder – ab Minute 0:45]

Babak Rafati: Deniz geht in den Zweikampf und trifft beziehungsweise touchiert Lex am Bein/an der Wade. Dieses Foulspiel, das weit in der gegnerischen Hälfte passiert, ist ein Allerweltsfoul, sodass überhaupt keine besondere Schwere des Vergehens vorliegt. Hier hätte lediglich eine Freistoßentscheidung ausgereicht. Eine Fehlentscheidung, für dieses Vergehen eine gelbe Karte, die in der Folge zu einer gelb-roten Karte führt, auszusprechen. Neben der Fehlentscheidung in der Einzelszene kann sich ein Schiedsrichter mit dieser engen beziehungsweise kleinlichen Spielführung selbst unter Druck bringen und fördert zudem nicht unbedingt ein Fußballspiel.

Szene 2: Gegen Timur Gayret (Halle) geht Tim Rieder (1860) mit gestrecktem Bein und offener Sohle in den Zweikampf und trifft ihn am Schienbein. Greif entscheidet auf Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:10]

Babak Rafati: Im Mittelfeld geht Rieder mit gestrecktem Bein und offener Sohle gegen Gayret in den Zweikampf und trifft ihn am Schienbein. Auch wenn der Treffer nicht sehr intensiv ist, liegt eine mögliche Gefährdung der Gesundheit des Gegenspielers vor, sodass die rote Karte vertretbar ist. Vertretbar deshalb, da die Intensität des Treffers eher leicht ausfällt. Das kann ein Schiedsrichter im normalen Ablauf aber überhaupt nicht einschätzen. Zudem sollten Spieler – unabhängig von der vertretbaren Entscheidung – immer im Hinterkopf haben, dass wenn gegen den Gegner eine rote Karte gezeigt wurde, ein Schiedsrichter das weiß und entsprechend eher dazu neigt, eine numerische Gleichheit herzustellen. Auch wenn Fans das nicht gerne hören, ist das ein ungeschriebenes Gesetz der Spielführung.

Szene 3: Im Strafraum geht Sören Reddemann (Halle) in einen Zweikampf mit Joseph Boyamba (1860) und bringt ihn zu Fall, trifft aber zuerst den Ball. Dennoch gibt es Elfmeter für 1860. [TV-Bilder – ab Minute 3:40]

Babak Rafati: Reddemann springt gegen Boyamba per Grätsche in den Zweikampf zum Ball, blockt zuerst das Spielgerät, trifft allerdings unmittelbar danach mit seinem Nachziehbein den Angreifer in die Beine und bringt ihn dadurch zu Fall. Auch wenn der Ball zuerst geblockt wird, ist das noch kein Freifahrtschein, das Foulspiel nicht in die Bewertung des Zweikampfes mit einfließen zu lassen und es nicht zu ahnden.

Somit ist nicht maßgeblich, ob der Ball zuerst gespielt wurde, sondern die Beurteilung des gesamten Ablaufes im Zweikampf. Hätte Reddemann den Ball klar weggespitzelt, dem Spielgerät eine klare Richtungsänderung gegeben und erst dann Boyamba mit dem Nachziehbein getroffen, wäre der Ball für den Angreifer nicht mehr spielbar und somit wäre Weiterspielen zu lassen die richtige Entscheidung gewesen. Dadurch, dass der Ball in diesem Fall aber nur geblockt wird, wäre das Spielgerät für Boyamba noch spielbar gewesen, wenn er eben nicht getroffen und von den Beinen geholt worden wäre. In der Summe ist das ein Foulspiel, und es liegt eine richtige Entscheidung vor, einen Elfmeter für 1860 München zu pfeifen.

Bei derartigen Zweikämpfen von Verteidigern wird oft alles in die Waagschale geworfen und dabei auch der Ball mit getroffen. Relevant ist aber, wie sich der Einsatz im Gesamtbild auswirkt. Wird nach dem Motto "Alles-Riskieren" und "Freund und Feind ignorieren" auch der Gegner entscheidend getroffen, kann es nur zur Folge haben, dieses Vergehen als Foulspiel zu bewerten. Der Mythos Zuerst-den-Ball-gespielt-zu-haben ist somit kein Bestandteil des Regelwerkes, sonst könnte jeder, nach dem er den Ball gespielt hat, einen Tritt als Gruß hinterher schicken.

Szene 4: Nach einem Zweikampf mit Seymour Fünger (Halle) sieht Albion Vrenezi (1860) Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 2:14:55]

Babak Rafati: Bei dieser Rettungsaktion von Fünger im Mittelfeld will Vrenezi zum Ball, kommt aber etwas zu spät, erreicht das Spielgerät nicht mehr und trifft ins Leere. Daraufhin schmeißt sich Fünger auf den Boden und signalisiert am Fuß getroffen worden zu sein. Da überhaupt kein Foulspiel, noch nicht einmal ein Kontakt, vorgelegen hat, ist diese gelbe Karte eine Fehlentscheidung. Eine mögliche Ursache für solch ein Spielerverhalten, Foulspiele vorzutäuschen, liegt meistens dann vor, wenn viele Karten im Spiel verteilt wurden und bei Spielern das Gefühl einer Ungleichbehandlung aufkommt.

 

Szene 5: Dennis Borkowski (Dresden) trifft nach einer Ecke zum Ausgleich, allerdings verwehrt Schiedsrichter Sven Jablonski dem Treffer die Anerkennung, weil er im Zentrum auf Foulspiel von Claudio Kammerknecht entscheidet. [TV-Bilder – ab Minute 2:05]

Babak Rafati: Nach einer Ecke springen Angreifer und Verteidiger zum Kopfball. Dabei kommt es branchenüblich zu Berührungen und Kontakten in der Luft, allerdings ist kein Foulspiel von Kammerknecht, wie es der Schiedsrichter gesehen haben will, auszumachen. Eher unterläuft der Verteidiger den Ball. Eine Fehlentscheidung, diesen Zweikampf als regelwidrig zu werten und dem anschließenden Treffer durch Borkowski die Anerkennung zu verwehren.

 

Szene 6: Einen Schuss von Sebastian Jacob (Saarbrücken) wehrt Alexander Sorge (Aue) im Strafraum mit dem Arm ab. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Dr. Robin Braun. [TV-Bilder – ab Minute 0:25]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Jacob auf das gegnerische Tor spreizt Sorge den Arm ab und bekommt den Ball an die Hand. Durch dieses Abspreizen wird die Körperfläche vergrößert. Dann spielt es auch keine Rolle mehr, dass der Ball aus kurzer Entfernung angeflogen kommt. Das ist ein strafbares Handspiel, und somit hätte es einen Elfmeter für Saarbrücken geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen. Sicherlich ist das Übersehen dieser Spielweise dem nicht optimalen Stellungsspiel des Schiedsrichters geschuldet. Wenn er weiter nach links eingerückt wäre, hätte er eine freie Sicht auf das Geschehen und hätte das Handspiel somit besser beobachten und entsprechend ahnden können.

 

Szene 7: Einen Schuss von Simon Engelmann (Essen) bekommt Dominik Franke (Ingolstadt) beim Hochspringen an den Arm. Schiedsrichter Lars Erbst gibt Elfmeter für RWE. [TV-Bilder – ab Minute 0:25]

Babak Rafati: Nach einer Hereingabe von Engelmann in den gegnerischen Strafraum springt Franke hoch, um den Ball zu blocken. Dabei bekommt er das Spielgerät aus kurzer Distanz an den Arm. Dadurch, dass der Arm angelegt beziehungsweise in natürlicher Haltung ist, liegt kein strafbares Handspiel vor. Somit eine Fehlentscheidung, auf Elfmeter für Essen zu entscheiden.

Szene 8: Nach einer weiten Hereingabe in den Strafraum läuft Hans Nunoo Sarpei (Ingolstadt) zum Ball und geht in einen Zweikampf mit Felix Herzenbruch (Essen), der dabei zu Fall kommt. Das Spiel läuft weiter, direkt danach fällt das 1:2. [TV-Bilder – ab Minute 2:45]

Babak Rafati: Nach einem langen Ball in den Strafraum will Herzenbruch durch Stehenbleiben den Ball blocken, damit der herangeeilte Sarpei nicht an den Ball kommen und somit sein Torhüter den Ball aufnehmen kann. Sarpei wiederum kommt hinter Herzenbruch angelaufen und setzt im Zweikampf auch den Arm ein, um an den Ball zu kommen. Dabei kommt Herzenbruch zu Fall. Der Einsatz von Sarpei ist aber nicht ursächlich für das Zufallkommen des Verteidigers. Auch wenn der Arm zum Körper geht und dabei auch leicht geschoben wird, reicht das für ein Foulspiel einfach nicht aus. Somit eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und den anschließenden Treffer anzuerkennen. Solch ein leichter Rempler wäre übrigens auch bei einem Vergehen eines Verteidigers an einem Angreifer kein Elfmeter.

 

Szene 9: Eine Klärungsaktion seines Mitspielers bekommt Abdoulaye Kamara (Dortmund II) an den Arm. Mannheim fordert Elfmeter, die Pfeife von Schiedsrichter Lukas Benen bleibt stumm. [TV-Bilder – ab Minute 36:45]

Babak Rafati: Im Dortmunder Strafraum klärt ein Mitspieler von Kamara den Ball, und von da aus springt diesem das Spielgerät aus kurzer Entfernung an den Arm. Dabei ist der Arm angelegt und in natürlicher Haltung, sodass kein strafbares Handspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 10: Bei einem Konter des FSV Zwickau kommt es zu einem Luftzweikampf zwischen Dennis Lippert (Bayreuth) und Mike Könnecke (Zwickau). Könnecke geht dabei  zu Boden, während Lippert glatt Rot sieht. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]

Babak Rafati: Bei diesem Luftzweikampf leitet Könnecke vor dem eigenen Strafraum den aufspringenden Ball per Kopf zu einem Mitspieler weiter und damit einen aussichtsreichen Konter ein. Dabei kommt Lippert angelaufen, springt hoch und will auch den Ball spielen. Er verfehlt das Spielgerät aber und trifft stattdessen Könnecke beim Sprung in der Luft durch eine Drehung mit dem Rücken an der Schulter. Dabei kommt Könnecke zu Fall. Das ist zweifelsfrei ein Foulspiel, das rücksichtslos ist und mit der gelben Karte geahndet werden muss. Es wäre besser gewesen, zunächst weiterspielen zu lassen, um den guten Konter ausspielen zu lassen und nachträglich in der nächsten Spielunterbrechung die gelbe Karte zu zeigen. Eine rote Karte zu zeigen, ist allerdings eine Fehlentscheidung, denn es liegt keine brutale Spielweise oder Gesundheitsgefährdung des Gegenspielers vor. Womöglich hat der Schiedsrichter aus seiner Position – hinter dem Luftzweikampf – entweder die Intensität des Treffers mit dem Rücken überschätzt oder aber auch – was ich eher annehme -, einen Tritt durch das ausgestreckte Bein von Lippert im Zweikampf, der ins Leere geht, wahrgenommen.

 

Szene 11: Moritz Stoppelkamp (Duisburg) dringt in den Strafraum ein und geht gegen Markus Ballmert (Meppen) zu Fall. Schiedsrichter Wolfang Haslberger gibt Elfmeter für den MSV. [TV-Bilder – ab Minute 2:35]

Babak Rafati: Stoppelkamp dringt in den Strafraum ein, will sich den Ball an Ballmert vorbeilegen und weiterlaufen, um sich in eine gute Position zu bringen. Dabei nimmt Ballmert den Fuß heraus, um sicherlich den Ball zu spielen. Er verfehlt allerdings das Spielgerät, kann Stoppelkamp nur noch durch ein Foulspiel aufhalten und am Weiterlaufen hindern, indem Stoppelkamp über das ausgestreckte Bein, mit dem Ballmert zum Ball wollte, zu Boden fällt. Eine richtige Entscheidung, auf Elfmeter zu entscheiden.

 

Szene 12: Bei einem Zweikampf im Strafraum gegen Kebba Badjie (Oldenburg) berührt Michel Stöcker (Verl) den Ball möglicherweise zweimal mit der Hand. Einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:55]

Babak Rafati: Bei einem Zweikampf im Strafraum von Verl kommen Badjie und Stöcker zu Fall, stürzen dabei auf den Ball und berühren beide das Spielgerät mit der Hand. In beiden Fällen liegt allerdings keine Absicht vor, sodass es sich nicht um ein strafbares Handspiel handelt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Weiterlesen: Wer bislang am häufigsten benachteiligt wurde

   

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