Strittige Szenen am 8. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die nicht gegebenen Elfmeter für Dresden, Lübeck und Duisburg, das Foul von Essens Sapina, das 2:0 für Essen, die Strafstöße für Halle, ein Foul von Verls Lokotsch, das 2:0 für 1860 und das 3:3 für Sandhausen. Am 8. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de elf strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 53-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Einen Schuss von Tom Zimmerschied (Dresden) bekommt José-Enrique Ríos Alonso (Essen) am Boden liegend möglicherweisen an den Arm. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Tobias Reichel nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]
Babak Rafati: Einen Schuss von Zimmerschied bekommt Rios Alonso beim Aufstehen an den Arm geschossen. Dabei ist der Arm angelegt, zudem kommt der Ball – wie bereits erwähnt – an den Arm und nicht andersherum. Somit liegt kein absichtliches Handspiel vor. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 2: Vinko Sapina (Essen) geht von hinten in einen Zweikampf gegen Tom Zimmerschied (Dresden), kommt aber mit Gelb davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:35]
Babak Rafati: Im Mittelfeld passt Zimmerschied einen Ball in die Spitze, danach kommt Sapina mit hoher Intensität von hinten ohne Chance zum Ball, grätscht mit dem langen Bein und Stollen voraus und trifft Zimmerschied auf Knöchelhöhe. Das ist eine brutale Spielweise, die die Gesundheit des Gegenspielers gefährdet, sodass es nur die rote Karte geben kann. Eine Fehlentscheidung, es bei dieser Aktion bei der gelben Karte zu belassen.
Szene 3: Im Mittelfeld bekommt Ron Berlinski den Ball und leitet diesen zu Felix Bastians weiter, der zum 2:0 trifft. Dresden reklamiert Abseits von Berlinski, Reichel gibt den Treffer dennoch. [TV-Bilder – ab Minute 2:50]
Babak Rafati: Beim Zuspiel auf Berlinski steht dieser in Abseitsposition und passt anschließend den Ball in die Mitte zu Mitspieler Bastians, der einen Treffer erzielt. Dieser Treffer hätte allerdings wegen der Abseitsposition nicht zählen dürfen, so dass eine Fehlentscheidung vorliegt. Die Abseitsposition ist sehr gut an der Rasenmarkierung erkennbar.
Szene 4: Im Strafraum wird Lucas Halangk (Halle) von Marvin Thiel (Lübeck) getroffen, Schiedsrichter Mario Hildenbrand gibt Elfmeter für Halle. [TV-Bilder – ab Minute 3:30]
Babak Rafati: Im Strafraum gehen Thiel und Halangk zum Ball. Dabei ist Halangk einen kurzen Moment schneller am Ball und spielt das Spielgerät. Thiel kommt einen Moment zu spät und trifft nur noch Halangk in die Beine. Das ist ein Foulspiel, und somit liegt eine richtige Entscheidung vor, auf Elfmeter zu entscheiden.
Szene 5: Cyrill Akono (Lübeck) dringt in den Strafraum ein, wird von Jonas Nietfeld (Halle) am Trikot gehalten und geht zu Boden. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 2:01:35]
Babak Rafati: Bei diesem Duell laufen Akono und Nietfeld nebeneinander. Hierbei bearbeitet Nietfeld seinen Gegenspieler ein wenig, aber das reicht für ein Foulspiel beziehungsweise einen Elfmeter bei Weitem nicht aus. Der Angreifer kommt auch etwas zeitversetzt zu Fall. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 6: Patrick Hasenhüttl (Halle) wird im Strafraum von Tommy Grupe (Lübeck) gehalten, erneut zeigt Hildenbrand auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 4:05]
Babak Rafati: Hasenhüttl wird im Strafraum angespielt und will an Grupe vorbeilaufen, allerdings hält ihn dieser klar und deutlich am Trikot und reißt ihn entscheidend zu Boden. Da gibt es keine zwei Meinungen, und daher liegt eine richtige Entscheidung vor, einen Elfmeter zu geben.
Szene 7: Im Strafraum kommt Tim Köther (Duisburg) an den Ball und läuft auf das Tor, wird aber von Niko Koulis (Münster) zu Boden gestoßen. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Timo Gansloweit nicht. [TV-Bilder – ab Minute 3:05]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf legt sich Köther den Ball an Koulis vorbei und will an ihm vorbeilaufen, allerdings kommt dieser von der Seite angelaufen, orientiert sich nur zu Köther und nicht zum Ball, läuft in den Angreifer und stößt ihn zudem zu Boden. Diese ausschließlich gegnerorientierte Aktion reicht aus, um ihn aus der Balance und zu Fall zu bringen und am Weiterlaufen zu hindern. Somit liegt ein Foulspiel vor, sodass es eine Fehlentscheidung ist, weiterspielen zu lassen und den fälligen Elfmeter nicht zu geben.
Szene 8: Santiago Castaneda (Duisburg) will einen Schuss im Strafraum annehmen, kommt dabei aber gegen Simon Scherder (Münster) zu Fall. Gansloweit lässt erneut weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 2:06:50]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf ist Scherder im normalen Bewegungsablauf, und als Castaneda angespielt wird, läuft dieser Richtung Ball und kommt ohne ein regelwidriges Verhalten von Scherder zu Fall. Auch wenn es hier zu einem Kontakt gekommen sein sollte, geht dieser nicht vom Verteidiger aus, sondern durch die Bewegung des Angreifers zum Ball, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.
Szene 9: Im Strafraum kommt will Lars Lokotsch (Verl) zum Ball grätschen, trifft aber nur Keeper Marco Hiller. Schiedsrichter Jarno Wienefeld ahndet die Szene nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:52:35]
Babak Rafati: Nachdem sich Lokotsch im Strafraum gegen den gegnerischen Verteidiger grenzwertig durchsetzt, springt er anschließend mit dem langen Bein zum Ball und trifft dabei nur Keeper Hiller, wenn auch nicht voll. Natürlich will der Angreifer zum Ball und nicht den Keeper treffen. Allerdings sieht er den Keeper aus seinem Tor herauseilen, geht rücksichtslos in den Zweikampf und lässt außer Acht, den Gegner verletzen zu können. Das ist dann neben einem Foulspiel auch zwingend eine gelbe Karte gegen Lokotsch. Diese Karte nicht zu geben, ist eine Fehlentscheidung.
Szene 10: Nach einem Pass aus dem Mittelfeld läuft Albion Vrenezi (1860) frei auf das Tor zu, wird aber wegen einer vermeintlichen Abseitsposition zurückgepfiffen. Dennoch läuft Vrenezi weiter und bringt den Ball im Tor unter, was ihm Gelb einbringt. [TV-Bilder – ab Minute 2:07:20]
Babak Rafati: Bei einem Zuspiel aus dem Mittelfeld auf Vrenezi steht dieser nicht in Abseitsposition, da der Verteidiger diese mit dem rechten Fuß aufhebt. Nachdem der Schiedsrichter trotzdem Abseits pfeift, schiebt der Angreifer den Ball ins Tor und bekommt dafür die gelbe Karte. Insgesamt hätte es weitergehen und der anschließende Treffer zählen müssen. Stattdessen auf Abseits zu entscheiden und den Treffer nicht anzuerkennen, ist eine Fehlentscheidung. Somit wäre es nicht mehr zu einer gelben Karte gekommen. Wenn aber beim Schiedsrichter die Annahme zugrunde liegt, dass es sich um eine Abseitsposition handelt, hat die gelbe Karte wegen einer Unsportlichkeit (Ball ins Tor schieben nach dem Pfiff) seine Berechtigung.
Szene 11: In der eigenen Hälfte ist Luca Zander (Sandhausen) bei einem Zweikampf mit André Becker (Köln) zuletzt am Ball, dennoch gibt Schiedsrichter Patrick Schwengers Einwurf für Sandhausen, aus dem das 3:3 fällt. [TV-Bilder – ab Minute 3:40]
Babak Rafati: Einen langen Ball schießt Becker eigentlich klar gegen Zander, der dem Spielgerät eine klare Richtungsänderung gibt, sodass Zander den Ball zuletzt berührt und anschließend ins Seitenaus befördert. Somit hätte es einen Einwurf für Köln und nicht für Sandhausen geben müssen. Der anschließende Treffer, der aus dieser Fehlentscheidung resultiert, wäre dann erst gar nicht passiert. In dieser Szene hat der Schiedsrichter zwar keinen optimalen Blick zur Seitenlinie und dem Zweikampf, auch wenn er richtig steht, aber sein Assistent, der auf dieser Seite postiert ist, muss diese falsche Spielfortsetzung einfach verhindern und dem Schiedsrichter ein Signal geben, weil er einen optimalen Blickwinkel zur Spielszene hat.
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