Strittige Szenen am 9. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für Wiesbaden, Bayreuth, Elversberg und Duisburg, die Strafstöße für Meppen und Dortmund II, Foulspiele von Wiesbadens Gürleyen, Dresdens Gogia und Essens Bastians, der Platzverweis gegen Antonitsch, eine Tätlichkeit von Essens Götze und ein abgepfiffener Angriff des Waldhof. Am 9. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zwölf strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 52-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Im Strafraum bekommt Marcel Seegert (Mannheim) einen Schuss von Robin Heußer (Wiesbaden) an den Arm. Schiedsrichter Dr. Matthias Jöllenbeck lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 0:35]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Heußer nimmt Seegert den Arm heraus, sodass dieser abgespreizt und nicht mehr in natürlicher Haltung ist. Damit vergrößert Seegert die Körperfläche, sodass ein absichtliches Handspiel vorliegt. Es hätte somit einen Elfmeter für Wiesbaden sowie eine gelbe Karte gegen Seegert geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen. Von einer Torverhinderung mit der Folge einer roten Karte kann nicht die Rede sein, da der Torwart hinter Seegert noch hätte eingreifen können.

Szene 2: Der bereits gelb-verwarnte Ahmet Gürleyen (Wiesbaden) geht von hinten in einen Zweikampf mit Pascal Sohm (Mannheim) und bringt ihn zu Fall, kommt aber mit einer Ermahnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:24:45]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf spielt Gürleyen zuerst den Ball, trifft Sohm anschließend aber am Fuß und bringt ihn zu Fall. Auch wenn Gürleyen seinem Gegenspieler wehtut und es hierfür einen Freistoß geben muss, ist eine gelbe Karte nicht zwingend erforderlich, da der Ball zuerst und auch entscheidend gespielt wurde. Somit eine vertretbare Entscheidung, keine weitere Karte für dieses Foulspiel auszusprechen. Wäre der Ball beim Abwehrversuch verfehlt worden, wäre eine gelbe Karte allemal berechtigt.

Szene 3: Adrien Lebeau (Mannheim) setzt sich in einem Zweikampf mit Sascha Mockenhaupt (Wiesbaden) durch und taucht frei vor dem Tor auf, wird aber von Jöllenbeck aufgrund eines vermeintlichen Offensivfouls zurückgepfiffen. [TV-Bilder – ab Minute 1:26:30]

Babak Rafati: Bei einem Laufduell in Tornähe kommt es zu einem Zweikampf. Dabei nimmt Lebeau seinem Gegenspieler Mockenhaupt den Ball ab und kann auf das gegnerische Tor zustürmen. Auch wenn Mockenhaupt zu Fall kommt, ist das selbstverschuldet, weil er sich verschätzt und über seine eigenen Füße stolpert. Eine Fehlentscheidung, diesen Zweikampf als Foulspiel zu werten.

 

Szene 4: Der bereits gelb-verwarnte Akaki Gogia (Dresden) geht mit offener Sohle in einen Zweikampf mit Hans Nunoo Sarpei (Ingolstadt), eine Karte sieht er von Schiedsrichter Florian Lechner nicht. [TV-Bilder – ab Minute 45:05]

Babak Rafati: Im Mittelfeld ist Sarpei schneller am Ball. Sein Gegenspieler Gogia will auch zum Ball, geht aber mit gestrecktem Bein und offener Sohle in den Zweikampf und trifft Sarpei am Knie. Auch wenn Gogia keine Absicht unterstellt werden kann, ist dieser Einsatz gesundheitsgefährdend. Daher kann es bei diesem Trefferbild nur eine Entscheidung geben, wenn es der Schiedsrichter sieht: das ist die rote Karte. Somit liegt eine Fehlentscheidung vor, diese nicht auszusprechen. Der Schiedsrichter wird den Vorgang deshalb nicht richtig gesehen haben und entsprechend kategorisieren können, weil das Foulspiel beziehungsweise der Treffer mit dem Fuß auf der von ihm abgewandten Seite passiert. Hier hätte der Assistent, der auf dieser zugewandten Seite stand, helfen können.

Szene 5: Für ein Einsteigen gegen Akaki Gogia (Dresden) sieht Nico Antonitsch (Ingolstadt) die gelb-rote Karte. [TV-Bilder – ab Minute 3:30]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Mittelfeld grätscht Antonitsch gegen Gogia, spielt klar den Ball, und erst kurz darauf kommt Gogia über die Beine von Antonitsch, der am Boden liegt ist, zu Fall. Bei diesem Zweikampf stellt sich die Frage, ob überhaupt ein Foulspiel vorliegt. Im Normalfall lässt man weiterlaufen. Dafür dann noch eine gelbe Karte zu zeigen, die zu einer Ampelkarte führt, ist eine Fehlentscheidung.

 

Szene 6: Einen Kopfball von Tobias Stockinger (Bayreuth) bekommt Justin Plautz (Oldenburg) im Strafraum an den ausgefahrenen Arm. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Patrick Schwengers. [TV-Bilder – ab Minute 3:30]

Babak Rafati: Nach einem Kopfball von Stockinger wirft sich Plautz vor den Ball, nimmt den Arm über die Schulter zur Hilfe und blockt somit den Kopfball. Bei diesem Einsatz wird die Körperfläche vergrößert, und es liegt keine natürliche Haltung des Armes vor, sodass es sich um ein strafbares Handspiel handelt. Dabei spielt es keine Rolle, dass der Ball vom Arm unterhalb der Schulter berührt wird, denn dort hat der Arm einfach nichts zu suchen. Es hätte somit einen Elfmeter für Bayreuth geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen. Der Schiedsrichter trifft die Entscheidung aber auch aus einer nicht optimalen Position. Er geht zunächst zu weit auf die linke Seite, um dem vorangegangenen Zweikampf zu folgen, schafft es dann aber nicht mehr – warum auch immer – nach der Hereingabe einen Gang zuzulegen, um in die Gefahrenzone, Richtung Strafraum einzurücken, um sich eine günstige Ausgangssituation zu verschaffen.

 

Szene 7: Im Strafraum berührt Tom Zimmerschied (Halle) eine Flanke von Jannik Rochelt (Elversberg) mit der Hand. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Dr. Martin Thomsen nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]

Babak Rafati: Nach einer Flanke von Rochelt fährt Zimmerschied den Arm weit aus, sodass dieser abgespreizt ist und die Körperfläche somit vergrößert wird. Dabei blockt er den Ball und verhindert, dass das Spielgerät in die Gefahrenzone kommt. Das ist ein strafbares Handspiel, und somit hätte es einen Elfmeter für Elversberg geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 8: Sascha Risch (Meppen) dringt in den Strafraum ein, wird von Patrick Sontheimer (Köln) am Trikot gehalten und geht zu Fall. Schiedsrichter Steven Greif zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 2:40]

Babak Rafati: Beim diesem Laufduell nimmt Risch den Ball kurz vor dem gegnerischen Strafraum an und wird von Sontheimer verfolgt. Der Verteidiger fängt kurz vor dem Strafraum an, Risch am Trikot zu halten. Dieses Halten dauert dann über 2-3 Meter an, und als der Angreifer im Strafraum ist, kommt er zu Fall. Die Frage ist, ob dieses Halten ursächlich für das Zufallkommen ist. Das kann man eher verneinen. Aber es stellt sich auch die Frage, ob es nicht trotzdem ein Foulspiel ist, weil er den Angreifer in seiner Vorwärtsbewegung stoppt. Das kann man bejahen, auch wenn Risch das Halten von Sontheimer dankend annimmt und das Zufallkommen nur demonstrieren soll, gefoult worden zu sein. Dieses Halten reicht für einen Elfmeter aus, sodass die Entscheidung vertretbar ist. Das ist einfach ungeschickt verteidigt und kann, muss aber nicht, mit einem Elfmeter sanktioniert werden. Daher auch eine vertretbare Entscheidung.

 

Szene 9: Felix Bastians (Essen) geht mit offener Sohle in einen Zweikampf mit Tobias Jänicke (Saarbrücken), kommt bei Schiedsrichter Richard Hempel mit einer Ermahnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:00:35]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf geht Bastians zwar mit offener Sohle in den Zweikampf, ist hierbei aber vor seinem Gegenspieler Jänicke am Ball und spielt diesen klar. Das kann man auch sehr gut an der Richtungsänderung der Flugbahn erkennen. Erst danach trifft Jänicke selbst Bastians am Fuß und verletzt sich dabei. Jetzt könnte man argumentieren, dass dort oben das Bein nichts zu suchen hat, aber wir dürfen nicht übersehen, dass beide Spieler die Füße auf dieser Höhe haben. Dabei ist entscheidend, wer den Ball spielt und zudem, wenn überhaupt, wer ein Foulspiel begeht. Es liegt von keinem ein Foulspiel vor. In der Praxis wird bei solchen Aktionen aber gepfiffen, um keine Unruhe aufkommen zu lassen. Das ist regeltechnisch zwar nicht richtig, aber ein Schiedsrichter kann nicht streng nach Regelbuch pfeifen. Taktische Pfiffe gehören zum Werkzeug einer klugen Spielleitung dazu, auch wenn Fans so etwas nicht hören wollen. In dieser Szene keine Karte auszusprechen, ist logischerweise eine richtige Entscheidung.

Szene 10: Nachdem Felix Götze (Essen) an der Seitenaus-Linie von Luca Kerber (Saarbrücken) gefoult wird, steht er auf und schubst den Saarbrücker um. Hempel belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:31:20]

Babak Rafati: Nachdem Götze an der Seitenlinie von Kerber verfolgt wird und der Ball ins Seitenaus rollt, kommt Götze zu Fall, steht hinter der Seitenlinie an der Bande auf und schubst Kerber mit beiden Händen zu Boden. Dabei lässt sich Kerber nicht etwa theatralisch fallen, sondern geht tatsächlich aufgrund des Schubsers zu Boden, sodass das Schubsen ursächlich für das Zufallkommen ist. Auch wenn Kerber sehr sportlich ist und sofort wieder aufsteht, liegt eine Tätlichkeit vor, wenn auch eine leichte (Strafmaß beim Sportgericht wäre relativ gering ausgefallen, vermutlich zwei Wochen), sodass eine rote Karte die richtige Entscheidung wäre. Götze selbst ist nach seiner Aktion mindestens überrascht, wenn nicht sogar erschrocken und insgeheim froh, mit einer gelben Karte davon zu kommen. Eine gelbe Karte ist aber eine Fehlentscheidung.

 

Szene 11: Nach einer Flanke von Stoppelkamp kommt Aziz Bouhaddouz (Duisburg) im Strafraum gegen zwei Verler zu Fall. Auf den Punkt zeigt Schiedsrichter Tom Bauer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:57:10]

Babak Rafati: Nach einem langen Ball von Stoppelkamp in den gegnerischen Strafraum steigt Bouhaddouz hoch, um den Ball mit der Brust anzunehmen. Hinter ihm steht ein Verler Verteidiger, der auch zum Ball will, diesen aber nicht erreicht, stattdessen den Angreifer leicht anspringt. Dabei geht dieser zu Boden. Auch wenn der Angreifer in der Luft ist, reicht dieser Kontakt für ein Foulspiel und in der Folge für einen Elfmeter einfach nicht aus – auch wenn Bouhaddouz diesen Kontakt dankend annimmt und sich fallen lässt. Dieser Kontakt ist branchenüblich, und somit liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 12: Bei einem Duell mit Davy Frick (Zwickau) geht Justin Njinmah (Dortmund II) im Strafraum zu Fall, Schiedsrichter Assad Nouhoum gibt Elfmeter für den BVB. [TV-Bilder – ab Minute 1:35]

Babak Rafati: Njinmah legt sich den Ball im gegnerischen Strafraum vor, Frick kommt einen Moment zu spät und kann den Angreifer nur noch durch ein Beinstellen aufhalten und zu Fall bringen. Das ist ein klares Foulspiel, sodass die Entscheidung auf Elfmeter richtig ist.

 

Weiterlesen: Wer bislang am häufigsten benachteiligt wurde

   

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