Strittige Szenen am 9. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für Saarbrücken (5) und Aue, der Platzverweis gegen Sontheimer, ein Zweikampf zwischen Hauptmann und Brünker, das 3:1 für Verl, das 1:0 für Unterhaching, Foulspiele von Rüdiger, Paetow und Stöcker sowie die gelben Karten gegen Guttau und Verlaat. Am 9. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 15 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 53-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Nach einer Hereingabe in den Strafraum will Kai Brünker (Saarbrücken) zum Ball, geht aber im Duell mit Jannik Löhden (Lübeck), der ihn unter anderen an den Hals greift, zu Boden. Einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 31:00]

Babak Rafati: Nach einem langen Ball in den Strafraum laufen Brünker und Löhden zum Spielgerät. Dabei umklammert Löhden mit beiden Armen die Schulter von Brünker und drückt ihn herunter, sodass Brünker keinen Druck mehr zum Ball bekommt und das Spielgerät nicht mehr erreicht. Löhden ist im gesamten Ablauf nur gegnerorientiert, fokussiert sich nur auf den Gegenspieler, und der Ball ist überhaupt nicht Spielobjekt. Das Umklammern des Verteidigers ist ursächlich für das Zufallkommen des Angreifers, sodass ein Foulspiel vorliegt. Eine Fehlentscheidung, den fälligen Elfmeter sowie eine gelbe Karte gegen Löhden nicht auszusprechen. Auch wenn das Vergehen nur gegnerorientiert ist, hätte es keine rote Karte geben dürfen, da der Angreifer keine Ballkontrolle hat und somit keine klare Torchance vorliegt. So sieht es das Regelwerk vor.

Szene 2: Im Mittelfeld will Morten Rüdiger (Lübeck) den Ball wegschlagen, kommt aber zu spät und trifft stattdessen Richard Neudecker (Saarbrücken) in die Wade. Eine Karte zeigt der Schiedsrichter nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:24:30]

Babak Rafati: Rüdiger kommt gegen Neudecker etwas zu spät und will den Ball wegschießen, trifft aber nur Neudecker in die Beine. Das ist ein Foulspiel, das rücksichtslos ist, weil außer Acht gelassen wird, den Gegner zu verletzen. Somit hätte es neben dem Freistoß auch die gelbe Karte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diese nicht zu geben. Der Tritt ist mit dem Innenrist, was zeigt, dass tatsächlich der Ball gespielt werden sollte. Somit ist das Trefferbild auch nicht für eine rote Karte ausreichend.

Szene 3: Richard Neudecker (Saarbrücken) will im Strafraum zu einer Flanke hochsteigen, geht aber im Duell mit Mirko Boland (Lübeck) zu Fall. Der Schiedsrichter lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:30:45]

Babak Rafati: Nach einer Hereingabe in den Strafraum springt Neudecker zum Kopfball hoch, dabei steht Boland hinter ihm und hat zwar den Arm am Rücken des Angreifers und es kommt auch zum Kontakt, aber dieser reicht nicht aus, um den Gegenspieler entscheidend zu Fall zu bringen. Somit nimmt der Angreifer den Kontakt dankend an und kommt zu Fall. Das ist aber kein Schubsen oder regelwidriges Wegschieben, vielmehr ein Zweikampf mit Mitteln, die noch im erlaubten Bereich sind. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen

Szene 4: Nach einem langen Ball rennt Kai Brünker (Saarbrücken) auf das Tor zu, geht aber im Zweikampf mit Marius Hauptmann (Lübeck) zu Boden. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:41:00]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf ist Hauptmann in der besseren Position zum Ball und will das Spielgerät klären, wird aber von hinten von Brünker gestört, dessen Einsatz aber regelgerecht ist. Auch wenn Hauptmann das Spielgerät nur minimal streift, begeht er hierbei jedoch gleichzeitig kein Foulspiel, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.

Szene 5: Im Zweikampf mit Mirko Boland (Lübeck) trifft der bereits wegen Meckerns verwarnte Patrick Sontheimer (Saarbrücken) seinen Gegenspieler im Unterleib und sieht dafür Gelb-Rot. [TV-Bilder – ab Minute 1:57:00]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf spielt Boland den Ball mit dem Kopf. Gegenspieler Sontheimer, der Boland im Rücken hat und ihn womöglich spät sieht, will auch den Ball spielen, trifft jedoch Boland in den Unterleib, wenn auch unbeabsichtigt. Diese Spielweise ist rücksichtslos und lässt eine mögliche Verletzung des Gegners außer Acht, sodass die gelbe Karte für den bereits gelb-verwarnten Sontheimer in der Folge zu einer gelb-roten Karte führt. Eine richtige Entscheidung, diese Karte zu zeigen.

Szene 6: Im Strafraum will Boné Uaferro (Saarbrücken) zum Ball, dabei wird er von Jannik Löhden (Lübeck) am Knöchel getroffen. Erneut gibt es keinen Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 2:00:05]

Babak Rafati: Am Fünfmeterraum kommt Löhden zuerst an den Ball und klärt auch klar das Spielgerät aus dem Strafraum. Gleichzeitig springt Uaferro mit dem langen Bein zum Ball, verfehlt diesen aber. Nach dem Ausholvorgang von Löhden mit dem Bein zum Ball kommt es zu einem Kontakt der beiden Spieler im Beinbereich. Das ist allerdings ein sauberes Tackling des Verteidigers, sodass kein Foulspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 7: Nachdem VfB-Keeper Philipp Klewin einen Ball noch festhalten kann, will Boné Uaferro (Saarbrücken) das Leder spielen, wird aber von Klewin getroffen und geht zu Boden. Die Pfeife des Schiedsrichters bleibt erneut stumm. [TV-Bilder – ab Minute 2:06:50]

Babak Rafati: Nachdem Keeper Klewin den Ball in der Luft abfängt, wird er vom eigenen Spieler behindert, sodass er den Ball wieder fallen lässt und das Spielgerät vor die Füße von Gegenspieler Uaferro gelangt. Unmittelbar danach kann er aber den Ball vor den Füßen des Angreifers wegspitzeln und verhindern, dass dieser an den Ball kommt. Im natürlichen Bewegungsablauf kommt es dann zum Kontakt des Keepers mit dem Angreifer, dieser ist aber unerheblich. Unerheblich deshalb, weil die Aktion des Keepers ballorientiert ist und erst danach dieser Kontakt zustande kommt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen. Hätte der Keeper nicht den Ball entscheidend gespielt, wäre bei diesem vorliegenden beziehungsweise gleichen Kontakt ein Elfmeter fällig.

Szene 8: Im Strafraum wird Kai Brünker (Saarbrücken) von Florian Egerer (Lübeck) bei einem Zweikampf mit dem Ellenbogen im Gesicht getroffen, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 2:09:00]

Babak Rafati: Im Strafraum springt Egerer mit angelegtem Arm am Körper zum Kopfball und spielt dabei entscheidend den Ball. Hierbei springt er gleichzeitig Gegenspieler Brünker mit dem angelegten Arm an. Allerdings ist die Aktion nur ballorientiert, und auch in dieser Szene kommt es anschließend im natürlichen Bewegungsablauf zum Kontakt, der aber unerheblich ist. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen. Auch in dieser Szene wäre der Zweikampf als Foulspiel zu werten gewesen, wenn nicht der Ball, sondern nur der Gegenspieler getroffen worden wäre. Dann hätte es einen Elfmeter geben müssen.

 

Szene 9: Im Mittelfeld tritt Torge Paetow (Verl) gegen Fabian Klos (Bielefeld) nach, nachdem er zuvor von Klos angerempelt worden war. Das Spiel läuft weiter, aus dem Angriff fällt das 1:0 für Verl. [TV-Bilder – ab Minute 0:20]

Babak Rafati: Bei einem Zweikampf im Mittelfeld foult Klos mit einem Allerweltsfoul seinen Gegenspieler Paetow. Dieser kommt zu Fall und tritt am Boden liegend leicht gegen Klos nach beziehungsweise stellt ihm das Bein. Das Spiel läuft weiter, und der Schiedsrichter ermahnt beide Spieler während des laufenden Spiels. Allerdings wäre es richtig gewesen, das Spiel sofort zu unterbinden, einen Freistoß für Verl auszusprechen und die gelbe Karte gegen Paetow zu zeigen. Weil eine gelbe Karte fehlt, liegt somit eine Fehlentscheidung vor, auch wenn Verl sowieso den Freistoß bekommen und weiterhin in Ballbesitz geblieben wäre. Eine rote Karte wäre nicht angebracht, weil kein richtiger Tritt vorliegt.

Szene 10: Michel Stöcker (Verl) geht mit hohem Tempo in einen Zweikampf mit Christopher Lannert (Bielefeld) und räumt diesen ab. Der Schiedsrichter belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 45:00]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf kommt Stöcker mit hoher Intensität und viel Dynamik angelaufen, verfehlt bei seiner Grätsche den Ball und trifft stattdessen Lannert am Knöchel. Die Dynamik lässt schon im normalen Ablauf Böses erahnen. In der Zeitlupe wird das Vergehen differenzierter. Stöcker trifft seinen Gegenspieler zwar nicht mit dem ausgestreckten Bein und offener Sohle, sondern vielmehr mit dem Nachziehbein. Aber auch dieser Treffer ist wegen der Dynamik und hohen Intensität und schließlich durch den Treffer im Knöchelbereich gesundheitsgefährdend und somit wird diese Gangart zu einer brutalen Spielweise. In dieser Szene hätte es daher die rote Karte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diese nicht zu zeigen und stattdessen die gelbe Karte auszusprechen.

Szene 11: Bielefeld moniert, dass der Ball platt sei. Der Schiedsrichter reagiert nicht, sodass Kersken das Spielgerät ins Aus schießt. Aus dem Einwurf fällt das 3:1 für Verl. [TV-Bilder – ab Minute 1:56:30]

Babak Rafati: Die Bielefelder monieren, dass der Ball platt sei. Der Schiedsrichter reagiert aber nicht. Nachdem der Keeper den Ball ins Aus schießt, geht das Spiel mit einem Einwurf für den Gegner weiter, und daraus fällt ein Gegentor. Regeltechnisch ist das okay. Das ist ähnlich wie bei einer Verletzung, bei der eine Mannschaft den Ball ins Seitenaus spielt. Auch dann geht es mit einem Einwurf für den Gegner weiter, und der Schiedsrichter hat keine Handhabe. Allerdings ist der Fair-Play-Gedanke durch die Verler zu hinterfragen.

Aber auch Schiedsrichter hätte diese Szene besser lösen können, indem er – bevor der Ball ins Seitenaus befördert wird -, das Spiel unterbricht und es anschließend nach Überprüfung des Balldrucks ggf. mit einem neuen Ball fortsetzt und einen Schiedsrichterball gibt. Man muss festhalten, dass mehrere Spieler in der Außenwirkung glaubhaft darlegen, dass der Ball zu wenig Luft hat, zumal Bielefeld zurückliegt und kein mögliches Zeitspiel begehen würde.

 

Szene 12: Bei einer Flanke in den Essener Strafraum geht Eric Voufack (Essen) zu Boden, das Spiel läuft weiter. Direkt danach fällt das 2:0. [TV-Bilder – ab Minute 1:40]

Babak Rafati: Nach einer langen Flanke in den Strafraum schiebt ein Unterhachinger Voufack leicht mit den Armen weg, was den Verteidiger noch nicht aus der Balance bringt. Dadurch aber, dass der Verteidiger durch den leichten Schieber im Anschluss gegen den Angreifer, der das Tor macht, aufläuft und den Angreifer nicht mehr am Kopfball hindern kann, kommt der Verteidiger zu Fall, sodass der leichte Schieber an sich nicht entscheidend ist, aber die Folge daraus zu einem Foulspiel führt. Daher hätte es einen Freistoß für Essen geben müssen und der anschließende Treffer hätte nicht zählen dürfen. Somit liegt eine Fehlentscheidung vor. Ähnlich ist es zum Beispiel bei Vergehen an der Bande, wenn Spieler nur leicht gefoult werden, aber anschließend gegen die Bande knallen. Dann wird aus einem leichten ein schwereres Vergehen.

 

Szene 13: Sean Seitz (Aue) geht im Strafraum gegen Simon Scherder (Münster) zu Fall und bleibt liegen, Schiedsrichterin Fabienne Michel pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 39:15]

Babak Rafati: Seitz dringt mit dem Ball am Fuß in den Strafraum ein, und dann kommt es zu einem Zweikampf mit Scherder, der ihm den Ball vom Fuß wegspitzelt und somit regelgerecht vom Ball trennt. Dabei prallen allerdings die Knie der beiden Spieler aneinander, und Seitz tut sich dabei weh. Der Zusammenprall passiert im natürlichen Bewegungsablauf und somit liegt kein Foulspiel vor. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 14: Im Mittelfeld will Julian Guttau (1860) zum Ball, nimmt dabei das Bein hoch und trifft Thomas Geyer (Ulm). Die gelbe Karte ist die Folge. [TV-Bilder – ab Minute 26:10]

Babak Rafati: Im Mittelfeld ist Geyer zuerst am Ball und köpft das Spielgerät weg. Dabei kommt Guttau etwas zu spät und trifft seinem Gegenspieler unglücklich im Gesicht. Auch wenn die Aktion unglücklich ist, wird bei dieser Spielweise eine mögliche Verletzung des Gegenspielers außer Acht gelassen, sodass ein rücksichtsloses Spiel vorliegt. Dieses mit der gelben Karte zu belegen, ist eine richtige Entscheidung, da nicht die offene Sohle oder das gestrecktes Bein im Spiel ist, vielmehr ein Treffer mit dem Vorderfuß. Diese und einige andere Faktoren sind nicht unerheblich für die Kartenfarbe.

Szene 15: Jesper Verlaat (1860) will einen Ball klären, bekommt ihn dabei erst an den Unterschenkel und dann an die Hand. Der Schiedsrichter zeigt Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:54:15]

Babak Rafati: Verlaat will den Ball klären, verspekuliert sich dabei ein wenig und trifft den Ball erst mit dem Schienbein und dann bekommt er den Ball an den hochgerissenen Arm. Da hat der Arm aber nichts zu suchen. Auch wenn der Ball erst mit einem anderen Körperteil gespielt wird, wird der Arm in dieser Szene bewusst und zur Vergrößerung der Körperfläche eingesetzt. Somit liegt ein strafbares Handspiel vor. Dadurch, dass Verlaat einen guten Angriff unterbindet, wird das Handspiel richtigerweise neben dem Freistoß mit der gelben Karte geahndet.

 

Weiterlesen: Wer bislang am häufigsten benachteiligt wurde

   

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