Strittige Szenen bei MSV-VfL: Die Analyse von Babak Rafati
Die Tore zum 1:0 und 5:3, der nicht gegebene Treffer sowie der verwehrte Elfmeter für Osnabrück. Beim Nachholspiel zwischen dem MSV Duisburg und dem VfL Osnabrück hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de vier strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Aaron Opoku (Osnabrück) verlängert einen Ball mit dem Kopf zu Heider, der Sebastian Klaas in Szene setzt. Dieser trifft zum 1:0 für Osnabrück. Duisburg reklamiert Abseits, doch Schiedsrichter Nicolas Winter gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 38:45]
Babak Rafati: Zum Zeitpunkt der Kopfballverlängerung von Opoku auf Heider befindet sich dieser in Abseitsposition, was man sehr gut an der Rasenmarkierung erkennen kann. Wahrscheinlich ist der Assistent nicht konzentriert genug auf der Szene drauf geblieben und in Position gelaufen, um die optimale Position für eine richtige Beurteilung zu haben. Eine Fehlentscheidung, das Spiel weiterlaufen zu lassen.
Szene 2: Nach einer Vorlage von Sebastian Klaas bringt Marc Heider den Ball zum 2:1 für Osnabrück im Tor. Winter entscheidet jedoch auf Abseits und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 45:55]
Babak Rafati: Aus den vorliegenden Videosequenzen ist nicht zweifelsfrei aufzulösen, ob Heider zum Zeitpunkt des Abspiels von Klaas im Abseits steht oder nicht. Es geht hierbei nur Millimeter, die nur mit den kalibrierten Linien, wie wir sie aus der Bundesliga beim Videobeweis kennen, aufzulösen sind. Ob eine richtige oder falsche Entscheidung vorliegt, kann daher nicht beurteilt werden. Tendenziell ist es nur ratsam respektive von der FIFA angewiesen, im Zweifel – wie in dieser Szene – für den Angreifer laufen zu lassen, um das offensive Spiel zu fördern. Ich persönlich hätte weiterlaufen lassen und den anschließenden Treffer gegeben, weil das menschliche Auge Fußspitzen und Knie in möglicher Abseitsposition gar nicht wahrnehmen und beurteilen kann.
Szene 3: Im Strafraum geht Ba-Muaka Simakala (Osnabrück) gegen Julian Hettwer (Duisburg) zu Fall, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:42:45]
Babak Rafati: Simakala verlädt seinen Gegenspieler Hettwer im Strafraum, wird anschließend deutlich am rechten Fuß getroffen und zu Fall gebracht. Der Schiedsrichter hat eigentlich eine freie Sicht und einen guten Blick auf diese Situation, lässt dennoch weiterspielen. Das ist allerdings ein Foulspiel, sodass es einen Elfmeter für Osnabrück hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen. Ich glaube auch nicht, dass der Schiedsrichter weiterspielen lässt, weil Simakala so spektakulär zu Boden geht. Die Körpersprache des Schiedsrichters ist nämlich sehr überzeugend und nicht zögerlich. Das wäre ein Indiz für einen ersten Eindruck, vielleicht doch ein Foulspiel erkannt zu haben, aber dann durch einen anderen Impuls anders entschieden zu haben. Er hat es einfach anders gesehen.
Szene 4: Lukas Kunze verwandelt zum 5:3 für den VfL Osnabrück. MSV-Keeper Jo Coppens reklamiert, dass ein zweiter Ball im Spiel war. Der Treffer zählt dennoch. [TV-Bilder – ab Minute 2:08:15]
Babak Rafati: Allein die Tatsache, dass ein zweiter Ball im Spiel ist, rechtfertigt noch keine Beeinflussung des Spiels und eine vorgeschriebene Spielfortsetzung durch den Schiedsrichter. Auch, wenn in dieser Szene ein Ball unmittelbar im Fünfmeterraum liegt, spielt sich das Spielgeschehen zunächst einmal im Mittelfeld ab und verlagert sich anschließend in Richtung des Duisburger Tores. Als beim Angriff der Ball von der rechten Strafraumseite hereingespielt wird, ist kein Verteidiger oder Torwart aufgrund des zweiten Balles im Spiel irritiert – nur das ist ausschlaggebend für den Schiedsrichter. Man sieht sehr wohl, dass alle Akteure auf die Spielsituation konzentriert und fokussiert sind, sodass der Schiedsrichter richtigerweise weiterspielen lässt und das Spiel nicht unterbricht. Lobenswert auch die anschließende Vorteilsanwendung, beim Foulspiel im Strafraum einen Moment abzuwarten – was zum Elfmeter geführt hätte – um anschließend den Treffer für Osnabrück zu geben.
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