Strittige Szenen im DFB-Pokal: Die Analyse von Babak Rafati
Der dritte Gegentreffer für 1860, ein nicht gepfiffener Elfmeter gegen Bayreuth, der Elfmeter gegen Aue und der verwehrte Treffer von Mannheim. Am DFB-Pokal-Wochenende hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de vier strittige Szenen aus den Partien mit Drittliga-Beteiligung genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 52-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Nach Vorlage von Donyell Malen trifft Karim Adeyemi zum 3:0 für den BVB. 1860 reklamiert Abseits, Schiedsrichter Benjamin Brand gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 2:10]
Babak Rafati: Beim Zuspiel von Malen auf Adeyemi steht dieser nicht im Abseits und trifft anschließend zum 3:0. Der Assistent erkennt diese Nicht-Abseitsposition sehr gut, denn er hat zwei Störfaktoren, über die er aber nicht stolpert. Zum einen stehen zwei weitere Dortmunder im passiven Abseits, die nicht eingreifen und somit nicht im strafbaren Abseits stehen. Zum anderen besteht eine weitere Schwierigkeit darin, dass Adeyemi räumlich näher zum Assistenten steht und somit die Aufmerksamkeit des Assistenten eher auf sich zieht, als wenn ein Abwehrspieler vor ihm stehen würde. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und den anschließenden Treffer für Dortmund anzuerkennen. Das können wir TV-Zuschauer sehr gut überprüfen, indem wir uns eine eigene kalibrierte Linie ziehen. Wenn man ein Blatt gerade auf die Strafraumlinie legt und den Abstand von Adeyemi und den vom 1860 Verteidiger am oberen Bildrand zu dieser Strafraumlinie abmisst, erkennt man, dass der Verteidiger näher zur Strafraumlinie steht und somit keine Abseitsposition vorliegt.
Szene 2: Einen Kopfball von Ransford Königsdörffer (HSV) bekommt Nico Andermatt (Bayreuth) im Strafraum an den Arm, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Michael Bacher nicht. [TV-Bilder – ab Minute 4:00]
Babak Rafati: Königsdörffer köpft den Ball im gegnerischen Strafraum in Richtung Tor. Dabei springt Andermatt, der seitlich zum Kopfballschützen steht, zum Ball, will ihn blocken, und bekommt das Spielgerät aus kurzer Distanz an den Oberarm. Der Arm ist jedoch in natürlicher Haltung und wird nicht vorher zur Vergrößerung der Körperfläche eingesetzt. Daher liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen.
Szene 3: Eine Flanke der Mainzer bekommt Steffen Nkansah (Aue) im Strafraum am Boden liegend an den Arm. Schiedsrichter Deniz Aytekin gibt Elfmeter für Mainz. [TV-Bilder – ab Minute 3:55]
Babak Rafati: Nach einer Hereingabe in den Strafraum von Aue will Nkansah den Ball blocken und grätscht zum Ball. Dabei rutscht er aus. Während des Ausrutschens stützt er sich mit einem Arm ab und bekommt am Boden liegend den Ball unglücklich und unbeabsichtigt aus kurzer Entfernung an den anderen Arm. Dieser Arm ist in keinster Weise in unnatürlicher Haltung, sodass keine Absicht vorliegt. Der Schiedsrichter wertet die Szene in der normalen Geschwindigkeit als Absicht – durch aktives Greifen zum Ball – wie er unmissverständlich durch Gestik anzeigt – und gibt Elfmeter für Mainz. Das ist allerdings eine Fehlentscheidung.
Szene 4: Gerrit Gohlke trifft nach einem Freistoß von Berkan Taz zum 1:0 für Mannheim, wird aber von Schiedsrichter Tobias Reichel zurückgepfiffen: Abseits. [TV-Bilder – ab Minute 2:10]
Babak Rafati: Nach einer Taz-Flanke in den Strafraum von Kiel steht Gohlke knapp (mit dem Kopf und der Schulter) im Abseits und trifft ins gegnerische Tor. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, den Treffer nicht anzuerkennen. Die Szene ist für den Assistenten gar nicht so einfach zu bewerten, da im Augenblick des Abspiels zwei weitere Mannheimer auch ins Spiel eingreifen, die sich aber nicht in Abseitsposition befinden. Daher muss der Assistent den Moment des Abspiels gedanklich "einfrieren" und final abwarten, wo der Ball tatsächlich hingeht, um zu bewerten, wer schlussendlich ins Spiel eingreift. Als der Ball in die Gefahrenzone kommt, haben sich die Positionen der Spieler komplett verändert, und es entsteht ein anderes, verzerrtes Bild. Daher ist in dieser Szene ein Kompliment (!) an den Assistenten auszusprechen, denn er handelt nach dem Grundsatz: "Wait and see" und setzt diese Vorgabe sehr gut für die Entscheidungsfindung ein.