Wie Jahn Regensburg die 3. Liga wahnsinnig macht
Jeder Drittligist rechnet sich gegen den SSV Jahn Regensburg nicht nur Chancen aus, sondern erspielt sich auch so einige. Doch die Punkte landen in diesen Wochen, nein Monaten stets in Regensburg. liga3-online.de hat Statistiken zum Staunen zusammengestellt – und blickt auf den Mann, für dessen eigentlich offensichtliche Taktik aktuell niemand ein Gegenmittel besitzt.
Die Entwicklung ist bemerkenswert
"Das ist absoluter Irrsinn, was der Jahn in dieser Saison fabriziert!" Magenta-Kommentator Andreas Mann beschrieb am frühen Sonntagabend ziemlich treffend die Gefühlslage des neuen Spitzenreiters in der 3. Liga. Der SSV Jahn Regensburg hatte den bisherigen Primus Dynamo Dresden just gestürzt, ein Kopfball von Ex-Dresdener Florian Ballas in der dritten Minute in der Nachspielzeit traf die Schwarz-Gelben mitten ins Herz. Trainer Joe Enochs hüpfte und tanzte im Kreis mit seinen Assistenten, Teambetreuern und Spielern wild über den Rasen – sein Plan, das 0:0 irgendwie über die Zeit zu retten, war nicht nur aufgegangen. Er hatte mit dieser finalen Pointe die kühnsten Erwartungen übertroffen. Und das bereits zum neunten Mal in Serie, Regensburg ist damit auf der Jagd nach dem bisherigen Drittliga-Bestwert: Der Karlsruher SC, der zwischen Oktober 2012 und Januar 2013 einst zehn Dreier aneinanderreihte und natürlich am Ende der Saison souverän aufstieg, er muss um seinen Rekord bangen.
Eine solche Entwicklung ist in jederlei Hinsicht bemerkenswert. Einerseits, weil der Jahn eben ein Zweitliga-Absteiger ist – einer, der nach sechs Jahren im Bundesliga-Unterhaus doch für Startprobleme wie gemacht schien mit seiner runderneuerten Mannschaft. Man blicke hinüber auf den einen Mitabsteiger aus Sandhausen, der seiner Rolle als Topfavorit bislang nicht gerecht wird und bereits einen Trainerwechsel vornehmen musste. Man blicke hinüber auf die andere, bedeutend größere Konkurrenz aus Ostwestfalen: Arminia Bielefeld ging auch gemeinsam mit Regensburg hinab und ist derzeit im hinteren Mittelfeld gefangen. Nichts Ungewöhnliches, das wissen wir aus der Vergangenheit der 3. Liga. Aus der Reihe tanzt nur der Jahn, der erst ein Punktspiel verlor (und dieses übrigens gegen den SV Sandhausen), erst elf Gegentore kassierte und die Auswärtstabelle mit sagenhaften 20 erreichten Punkten deutlich anführt.
Dresden-Spiel als Spiegelbild der Saison
Dazu kommt das "Wie", die B-Note, der Schönheitspreis, der im Fußball bekanntlich nicht vergeben wird und für den die Ostbayern in dieser Saison auch nicht in Frage kämen. "Ich weiß nicht, warum wir oben stehen". Sätze wie diese fallen in den Kommentarspalten der gängigen Social-Media-Auftritte des Jahn von erstaunten Fans immer wieder. Und das Spitzenspiel am Sonntag war irgendwie ja ein Spiegelbild dessen: Dresden nahm als Gastgeber die Favoritenrolle an, erspielte sich sehr ordentliche Abschlussgelegenheiten. Mit 22:11 sprach die Schuss-Statistik letztlich für die SGD, 2,32 zu 0,49 erwartete Tore notierten sich die Computermodelle. An der Bilanz von 0:3 Punkten änderte all dies nichts, da durften sich die 30.000 Dynamo-Fans ärgern, wie sie wollten. Der "Jahn-Fluch" hatte auch vor dem scheinbar besten Drittligisten dieses Jahres nicht Halt gemacht.
Enochs ist ein Fußballtrainer alter Schule. Der US-Amerikaner gilt als menschlich hervorragend, besitzt gute Motivationsfähigkeit – man ahnt, worauf der Satz hinausläuft: Taktisch ist das Vorgehen vermeintlich durchschaubar. Das 4-2-3-1 ist als grundsätzlich einfach einzustudierende Formation gesetzt, die Rollen sind klar verteilt. Der Fokus liegt auf der Verteidigung, entsprechend robust und konditionell belastbar wurde der Kader im Sommer bestückt. In der Gesamtstatistik treibt das skurrile Blüten: Der Jahn ist laut Daten von "Wyscout" der Drittligist mit dem niedrigsten (!) Ballbesitz, gefolgt von tatsächlichen Abstiegskandidaten wie Lübeck und Mannheim – doch die Enochs-Elf setzt dies in wahnsinnige Effizienz um. Zum Vergleich: Die tabellarischen Verfolger Dresden und Verl führen die Ballbesitz-Statistik an und erfüllen damit deutlich eher das Merkmal eines "klassischen" Spitzenteams. Auf die immerhin fünftmeisten Schüsse kommt der SSV übrigens dennoch.
Enochs hat den größten Karriereerfolg vor Augen
Mit Blick auf die einzelnen Spieltage ist besonders interessant: Ausgerechnet das Spiel, in dem der Jahn mit seinen Vorsätzen brach, damals 60 Prozent Ballbesitz, fast vier erwartete Tore sowie knapp 30 Torabschlüsse generierte, endete in der besagten Niederlage gegen den SV Sandhausen. Fortan überließ Regensburg wieder den Gegnern selbst in Heimspielen das Feld, beschränkte sich auf herausragend gutes Stellungsspiel (Ligaspitze bei den Defensivduellen und gewonnenen Kopfbällen) – und setzte die Nadelstiche mit derart beunruhigender Frequenz, dass sich in der Folge jeder der neun weiteren Gegner die Zähne ausbiss. 27 Punkte waren die Folge, derer zehn beträgt der Vorsprung auf Rang drei nun.
"Neunmal in Folge zu gewinnen, ist schon eine Hausnummer", sagte Enochs selbst am Sonntagabend – und sprach von "unglaublichem Spaß", dem ihm die Arbeit mit der Mannschaft derzeit bereite. "Ambitioniert, aber bodenständig bleiben", gab der 52-Jährige als Motto aus. Gekommen im Endspurt der Vorsaison, spielt Enochs auch um den persönlichen Traum, dauerhaft Trainer in der 2. Bundesliga sein zu dürfen – jener Liga, die er mit seinem Herzensverein VfL Osnabrück als Interimscoach zwei Spiele lang erlebte und weitere drei im Endspurt der Vorsaison, als der Abstieg kaum mehr vermeidbar war. Für Enochs, der zuletzt beim FSV Zwickau unter schwersten Umständen starke Ergebnisse erzielt hatte und daher immer etwas unter dem Radar flog, wäre ein Aufstieg der größte Karriereerfolg. Es wäre einer der ganz wenigen, dafür umso bemerkenswerteren Aufstiege, der – Stand jetzt – durch den Verzicht auf spielerische Dominanz gelingt.